Möhrchenprinz - Roman
wohlhabend. Sie leben in einem großen Haus mit Garten, haben Pferde und Hunde und Martina hat sie mit ihrer Mutter zusammen häufig besucht. Es war also irgendwie selbstverständlich, dass Martina die ersten drei Monate bei ihnen lebte, aber dann ging ihr sauertöpfisches Gesicht derDame des Hauses auf die Nerven. Sie steckte sie in ein Internat, von wo Martina drei Mal ausriss. Seitdem lebt sie bei mir.«
»Gibt es denn sonst niemanden …«
»Sie geht immer noch regelmäßig zur Therapie, aber ich weiß nicht, ob das hilft. Sie hat ihr Lachen bisher nicht wiedergefunden.«
Genau deshalb saß ich hier.
»Ich habe die Therapeutin gefragt, ob es besser wäre, wenn ich die Arbeit aufgäbe und mich ganz dem Mädchen widme, aber sie hat mir dringend davon abgeraten. Hier ist der einzige Ort, an dem Martina unter Leute kommt. Außer der Schule natürlich, aber da sondert sie sich auch ab.«
»Wie ist sie denn in der Schule?«, fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
»Gut. Sie bekommt tolle Noten. Sie ist sehr klug und lernt leicht. Sie muss sich keine Mühe geben, Dinge zu verstehen und zu behalten.« Der ganze Stolz des Großvaters schwang in diesen Worten mit und sein Gesicht hellte sich merklich auf. Allerdings verdüsterte es sich gleich wieder.
»Aber die Noten sind nicht so wichtig. Wichtiger wäre mir, dass das Kind wieder lacht.«
»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist gern bei Ihnen. Es wäre also schön, wenn Sie ihr das weiter erlauben. Natürlich nur, solange sie Sie nicht stört.«
Ich nickte. »Sie stört überhaupt nicht.«
Nach diesem Gespräch ging ich in dem Gefühl nach Hause, dass es gut war, überhaupt eine Familie zu haben. Selbst wenn sie so vollkommen durchgeknallt war wie meine.
Zu Hause wurde diese Einstellung gleich wieder auf eine harte Probe gestellt, denn laute Stimmen drangen aus unserer Wohnung bis ins Treppenhaus. Ich erkannte DanielsStimme und die von Mike, eine andere war leiser und daher nicht so klar zuzuordnen. Vermutlich Conny.
Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Daniel und Thomas saßen am Küchentisch, Conny und Mike standen davor.
»… aber doch nicht wir. Das ist Nötigung.«
Es klang in meinen Ohren immer wieder total lächerlich, wenn Mike, der faule Dauerkiffer, mit schwerem amerikanischem Akzent deutsche Gesetze zitierte, aber seine Rechte kannte er, das musste man ihm lassen.
»Ist es auch Nötigung, wenn ich dich davon abhalte, deine Freundin zu ermorden?«, fragte Daniel.
Conny starrte Mike an.
»Das ist was anderes.«
»Nein«, erklärte Daniel. »Du sollst deine Freundin nicht töten und aufessen und du sollst keine Tiere töten und aufessen.«
»Es geht nicht um das Töten von Tieren …«
»Doch. Weil ein Ei zu einem Küken werden soll und nicht zu deinem Brotbelag.«
Mir schwante Schreckliches. Ich drängelte mich an Mike vorbei und öffnete den Kühlschrank. Die Eier waren verschwunden, ebenso Käse, Milch, Butter und Sahne und alles andere, was tierischen Ursprungs war, darunter das halb volle Glas Mayonnaise, das ich für meinen Kartoffelsalat eingeplant hatte.
Mein Bruder hatte die Stufe vom Vegetarier zum Veganer geschafft.
»Das ist Schwachsinn«, sagte Mike.
»Du würdest mich also töten?«, fragte Conny.
» Bullshit! «, brüllte Mike und stürmte an mir vorbei aus der Küche.
»So ein Arschloch«, nuschelte Conny und latschte hinter ihm her.
»Willkommen zu Hause«, murmelte ich und ging duschen.
Daniel und Thomas saßen noch in der Küche, als ich aus dem Bad kam, und steckten die Köpfe über einem Blatt Papier zusammen. Sie blickten wie ertappt auf, als ich eintrat.
»Na, was macht der Lügenbaron?«, fragte Daniel, aber sein Tonfall und sein Gesichtsausdruck waren freundlich.
Thomas, der dem Streitgespräch vorhin lässig zurückgelehnt gelauscht hatte, grinste mich fröhlich an. Ich hatte ihn seit dem gemeinsamen Nudelessen nicht mehr getroffen und freute mich, ihn zu sehen. Allerdings hoffte ich, dass die Herren ihre Bekehrungsversuche jetzt nicht an mir fortführen wollten, denn ich war müde und hungrig. Ein bisschen Harmonie war alles, was ich wollte. Und Kartoffelsalat. Darauf hatte ich schon den ganzen Tag einen fürchterlichen Heißhunger.
»Wo ist meine Mayo?«, fragte ich also zurück und ließ mich auf einen freien Stuhl fallen.
Daniel grinste mich frech an. »Was bekomme ich für die Antwort?«
»Entweder einen Tritt in den Allerwertesten oder einen
Weitere Kostenlose Bücher