Möhrchenprinz - Roman
als Konzern groß geworden mit der Erzeugung von Energie, die das menschliche Leben auf diesem Planeten gefährdet. Wir haben Gewinne in Milliardenhöhe gescheffelt auf Kosten der Allgemeinheit. Wir haben eingesehen, dass diese Unternehmenspolitik falsch ist und werden sie korrigieren.«
Jetzt schnappten alle Journalisten nach Luft.
»Unsere Steinkohlekraftwerke haben einen Ausstoß von neunhundertfünfzig Gramm pro Kilowattstunde, unsere Braunkohlekraftwerke sogar über elfhundert Gramm – im Gegensatz zu vierundzwanzig Gramm bei Windkraftstrom und hundert Gramm bei Solarzellen. Über Atomkraft brauchen wir nicht zu reden, denn wir haben mit Entsetzen feststellen müssen, dass wir eine günstige Kohlendioxidbilanz durch apokalyptische Gefahren erkauft haben.«
Um mich herum war es inzwischen so still geworden, dass das Geräusch, das mein Fotoapparat machte, als ich meinen Bruder vor der Trutzburg seines aktuellen Lieblingsfeindes fotografierte, ungebührlich laut klang.
»Über Feinstaub, die Vernichtung von Heimat durch Braunkohletagebau und den Verbrauch riesiger Mengen Kühlwasser haben wir dabei noch gar nicht gesprochen. Alles das werden wir aufgeben.«
»Was passiert mit den ganzen Arbeitsplätzen?«, rief jemand von hinten.
Daniel warf dem Rufer einen durchdringenden Blick zu. »Wollen Sie Ihren Kindern erklären, dass wir ihre Zukunft verheizt haben, damit einige Leute noch einige Jahre länger Geld verdienen konnten, um unnütze, mit dreckiger Energie hergestellte Dinge zu kaufen?«
Eine Frau hinter mir lachte schrill auf.
»Wir werden eine völlig neue Arbeitsplatz- und Finanzstrategie einführen«, fuhr Daniel ungerührt fort. »Die Löhne und Gehälter werden reduziert, ebenso wie die Arbeitszeit. Es wird keine Millionengehälter und keine Boni mehr geben. Außerdem werden wir unser Tarifsystem für die Kunden umstellen. Bisher werden diejenigen Abnehmer begünstigt, die viel Strom brauchen, in Zukunft wird es umgekehrt sein. Es wird keine Großabnehmertarife mehr geben. Unser Know-how wird in Zukunft darauf gerichtet sein, Energie zu sparen, sie effizienter einzusetzen und sie in Produktionsprozessen zurückzugewinnen.«
»Wird das dazu führen, dass wir demnächst unsicheren Atomstrom aus Tschechien importieren?«, rief Thomas.
»Wir werden selbst keinen Atomstrom mehr importieren und fordern von der Regierung und allen Mitspielern in den Bereichen Wirtschaft, Handel und von den Konsumenten, auf den Import von Atomstrom zu verzichten. Nur dann ist die Energiewende glaubhaft und sinnvoll. Österreich hat das Importverbot von Atomstrom vorgemacht. Was die können, wird uns auch gelingen.«
»Was sagen denn Ihre Aktionäre dazu?«, rief ein Mann von hinten.
»Ich fordere hiermit alle Menschen, die den neuen Unternehmenskurs mittragen, auf, Aktien unseres Unternehmens zu kaufen. Ich bin sicher, dass es genügend Interesse gibt.«
»Ich kaufe!«, brüllte Thomas.
Daniel nickte ungerührt. »Sehen Sie? Es geht schon los.«
Dann brach die Hölle los. Alle schrien durcheinander, jeder Journalist und jede Journalistin riefen Fragen nach der Energiesicherheit, nach der Zukunft der Tagebauregionen, nach der schieren Möglichkeit, die Kraftwerke zurückzubauen und zu entsorgen (wohin mit all dem Schutt?), nach dem Auslöser für die Entscheidung, nach der Reaktion der anderen drei Versorger, was die Kanzlerin dazu sage, ob es eine Krisensitzung der Europäischen Union gebe und so weiter und so fort.
Daniel beantwortete alle Fragen völlig ungerührt und mit unzweifelhafter Seriosität. Er hatte das Vokabular drauf, er hatte die arrogante Haltung, die man von einem Typen in seiner Position erwartete, er war schlichtweg vollkommen überzeugend.
»Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit«, sagte er irgendwann mitten in die weiteren Fragen hinein. »Sie haben sicher Verständnis dafür, dass wir jetzt einige wichtige Telefongespräche führen müssen.«
Damit drehte Daniel sich um, verließ das Rednerpult, schüttelte dem »Boss« die Hand, nahm seinen Aktenkoffer und ging mit dem Rest der Truppe zurück zur Konzernzentrale. Dort wurde ihnen die Tür von einem sichtlich unterwürfigen Wachmann geöffnet, die Meute spazierte hinein, die Tür ging wieder zu und dann brachten sich die Fernsehjournalisten vor dem nun leeren Rednerpult in Stellung.
Ich knipste weiter, hingerissen von den entgeisterten Gesichtern der Medienvertreter, aber Thomas nahm meine Hand und zog mich aus dem Gedränge heraus.
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