Möhrchenprinz - Roman
mehr gekostet hatte als alle meine Businessklamotten zusammen, feinste Lederschuhe und seinen vegetabil gegerbten Lederkoffer. Seine aus der Form geratene Frisur hatte er mit Gel gebändigt, eine Sonnenbrille schaute aus seiner Brusttasche.
»Ist das Weltenretter-Virus abgeklungen und du bist wieder du?«, fragte ich nach einer gründlichen Inspektion des brüderlichen Outfits.
»Wärst du dann glücklich?«
Ich überlegte. Zuckte mit den Schultern. Dann schüttelte ich den Kopf. Obwohl der Klimaretter eindeutig anstrengender war als der Finanzjongleur, mochte ich den neuen Daniel irgendwie mehr. Bis auf die Sache mit seinen Aktionen gegen PS, natürlich. Und seinen Missionierungsdrang in meiner Wohnung. Und seine kompromisslose Verbohrtheit und …
»Also, kommst du mit?«
Ich wollte es ihm so schwer wie möglich machen, obwohl ich weder Lust hatte, den Rest des Feiertags hier in der Bude abzusitzen noch allein spazieren zu gehen. Shoppen fiel leider aus, obwohl ich ein paar leichtere Klamotten fürs Büro gut hätte brauchen können.
»Worum geht es denn?«, fragte ich kritisch.
»Überraschung! Aber es wird wirklich lustig, versprochen.«
Daniel hatte auch die Aktion auf dem Carlsplatz lustig gefunden. Und die Sache mit dem Holzlaster vor dem ›eat meat‹.
Thomas quetschte sich neben Daniel und nickte lächelnd. »Sehr lustig«, wiederholte er.
Seine Augen glitten durch mein Zimmer, das so aussah wie mein Leben: chaotisch. Überall lagen Klamotten herum, außerdem Zeitschriften, die ich aus dem Büro mitbrachte, weil ich die Medien für unsere große Kampagne kennenlernen wollte. Im Büro kam ich ja nicht dazu, sie zu lesen.
»Schön«, sagte Thomas grinsend. »Wer ist er?« Er zeigte auf einen Frosch aus grünem Plüsch, den ich im Handarbeitsunterricht der Grundschule selbst genäht hatte.
»Das ist Leos Freund, der Einzige, der es länger als zwei Wochen mit ihr ausgehalten hat«, kommentierte Daniel gehässig.
»Dafür ist Daniels Flamme bis nach Indien geflohen, um vor ihm in Sicherheit zu sein«, konterte ich.
Thomas schüttelte lachend den Kopf. »Streiten könnt ihr euch auch unterwegs. Wir sollten los, sonst verpassen wir den Zug.«
»Es ist keine Aktion gegen Siebendt?«, vergewisserte ich mich noch einmal.
»Nein«, sagten Thomas und Daniel im Chor.
»Die Worte Fleisch oder Tier werden nicht fallen«, fügte Thomas hinzu.
»Großes Indianer-Ehrenwort.« Mein Bruder legte die Hand aufs Herz.
Ich gab jeden vorgetäuschten Widerstand auf, zog bequeme Chucks an und warf mir meine Tasche über die Schulter. Ich war wirklich gespannt.
Wir gingen zum Hauptbahnhof und stiegen in den Regionalexpress nach Essen.
»Ich wünschte wirklich, sie wäre hier«, sagte Daniel plötzlich leise.
»Wer?«, fragte Thomas.
»Svenja.«
Thomas blickte mich an, ich nickte. »Svenja ist die Flamme, die nach Indien geflohen ist.«
Daniel schüttelte den Kopf. »Sie hatte ihr Ticket schon, als ich sie kennenlernte. Ich wüsste so gern, wie es ihr geht.«
»Es geht ihr gut«, tröstete ich meinen Bruder. »Svenja ist eine Lebenskünstlerin. Sie sieht zwar nicht so aus, aber sie ist unerschütterlich. Mach dir um sie keine Sorgen.«
Daniel nickte und versank wieder in Schweigen.
»Ich kann es nicht abwarten, bis sie endlich wieder da ist«, murmelte Daniel nach einer Weile.
Thomas wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel und schniefte theatralisch. »Mein Gott, wie romantisch.«
Wir lachten erst zu zweit, dann fiel Daniel mit ein.
Um nichts in der Welt hätte ich jetzt woanders sein wollen.
Am Hauptbahnhof stiegen wir aus und wandten uns nach Süden. Da ich auch während der Fahrt nichts über den Tagesplan erfahren hatte, fing ich an zu raten. Südlich des Hauptbahnhofs lagen die Oper, die Philharmonie – mehr fiel mir allerdings nicht ein, so gut kannte ich Essen nicht. Ich kapierte es erst, als wir direkt vor dem gläsernen Turm standen, vor dessen Eingangsportal Fahnen mit dem Firmennamen im leichten Maiwind flatterten. Natürlich! Die Stromtankstelle vor der Tür, das riesige Banner am Gebäude mit einer Sonne, drei Windturbinen und dem fett gedruckten Wort Energiewende , das alles sollte den Eindruck erwecken, dass wir es hier mit einem Stromversorger der Zukunft zu tun hatten. Neue, saubere, regenerative Energie von einem modernen Unternehmen. Ich war zwar kein Extremist wie die beiden Typen an meiner Seite, aber selbst ich wusste seit Jahren, dass der Strommix der
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