Mönchsgesang
harten Worten der beiden Mönche distanzieren. Mathäus lächelte ihm zu, hob zum Abschied eine Hand und schickte sich an, den Krankensaal wieder zu verlassen. Auf seinem Stuhl am Rand des Saales saß immer noch zusammengesunken der alte Edmond, der inzwischen laut zu schnarchen begonnen hatte. Die Strapazen der Nacht forderten ihren Tribut. Mathäus empfand Mitleid mit dem Gärtner, der nach dem Weggang der Laienbrüder nun sicherlich mit noch mehr Arbeit konfrontiert werden würde. Wieder begann er sich zu fragen, ob er richtig gehandelt hatte. Doch sein Instinkt sagte ihm nach wie vor, dass der Meuchler nicht unter den Laienbrüdern zu suchen war. Und ihr Bleiben hätte möglicherweise weitere Leben gefährdet.
Erst jetzt sah Mathäus Bruder Engelbert, den Subprior und Novizenmeister, im Türrahmen stehen. Es war ihm sofort klar, dass er schon längere Zeit dort stehen und sein Gespräch mit den Kranken verfolgt haben musste. Engelberts Blick war wie immer fest und undurchschaubar; mit keiner Regung seines Körpers ließ er erkennen, was er von all dem eben Gesagten hielt. Mathäus beschloss, ihn aus der Reserve zu locken.
»Ein Mörder und Giftmischer weilt mitten unter uns«, erklärte er mit prophetischer Stimme anstatt einer Begrüßung.
Engelbert nickte stumm.
Mathäus war erstaunt über diese widerspruchslose Geste. Etwas verunsichert fuhr er fort: »Ich hoffe, dass Ihr mich in Euer Gebet mit einbezieht. Es gilt, einen Mörder zu finden, bevor er erneut zuschlägt.«
Engelbert hob eine Augenbraue. »Wird er das tun?«
»Das weiß Gott allein.«
»Wenn Gott will, dass Ihr den Mörder findet, dann werdet Ihr ihn finden«, sagte Engelbert ernst.
»Ich kann mir nur schwerlich vorstellen, dass es nicht in Gottes Absicht läge, einen Mörder zu bestrafen.«
»Mein ist die Rache, redet Gott.«
Mathäus sah ihn herausfordernd an. »Man sollte meinen, Ihr hättet wenig Interesse an der Aufklärung der Todesfälle.«
Der Novizenmeister hob die Schultern. »Was wissen wir schon über die Wege Gottes? Warum ließ Er zu, dass Kain seinen Bruder Abel erschlug?«
»Warum gibt es das fünfte Gebot? Vielleicht weil unserem Schöpfer gerade nichts Besseres einfiel, was er auf die Tafeln des Mose hätte hämmern können?«
Engelbert zuckte zum ersten Mal mit seinen Mundwinkeln. »Eure Ansichten erscheinen mir etwas seltsam«, sagte er spöttisch.
»Und Eure Ansichten kotzen mich an. Wenn Ihr wollt, dass das Sterben in diesem Kloster ein Ende hat, dann lasst mich meine Arbeit tun.« Er machte eine energische Bewegung nach vorn, die den Novizenmeister beiseite treten ließ.
»Und wohin geht Ihr jetzt?«, fragte Engelbert. Seine Stimme war ruhiger und klarer als jemals zuvor.
Dieser Mann ist ein Fuchs, dachte Mathäus. Ein mit einer Kutte bekleideter Fuchs. »Ich gehe in die Krypta«, antwortete er laut.
»In die Krypta? Wo die Toten aufgebahrt liegen?«
»Ihr habt es erfasst.«
»Gestattet, dass ich Euch begleite.«
Mathäus nickte nach kurzem Zögern. Er hätte dem Subprior seine Zustimmung auch kaum verweigern können. Außerdem brauchte er jemanden, der ihm den Durchgang zur Klosterkirche öffnete, unter der die Krypta sich befand. »Habt Ihr denn einen Schlüssel?«
Statt einer Antwort zückte Engelbert einen Schlüsselbund hervor.
»Und ich dachte, nur der Sakristan und der Prior besäßen einen solchen«, bemerkte Mathäus mit gespieltem Erstaunen. Obwohl die Antwort ihm bereits klar war, studierte er neugierig das Gesicht des anderen.
Engelbert aber zuckte mit keiner Wimper. »Der Sakristan ist tot, zwei Mitbrüder und ein Novize liegen krank danieder, Bruder Edmond ist mit der Pflege der Kranken beschäftigt und aufgrund seines Alters damit sichtlich überlastet. Die Laienbrüder sind nicht mehr da, wie Ihr selbst am besten wisst. Das Klosterleben ist nur mit äußerster Mühe aufrechtzuerhalten, und auf unseren Prior lastet ein ganzes Gebirge voller Sorgen. Und da wundert Ihr Euch, dass ich, der ich Subprior und einer der wenigen Gesunden hier bin, einen Schlüssel zur Klosterkirche besitze? Das könnt Ihr mir nicht ernsthaft weismachen, Herr Mathäus.«
Der Dorfherr grinste verwegen. »Wollt Ihr mich trotzdem zur Krypta begleiten, Bruder?«
»Gehen wir.«
Die beiden Männer machten sich schweigend auf den Weg, erreichten den Kreuzgang und schließlich den Durchgang zur Kirche, den Engelbert mit andächtigen, fast rituellen Handgriffen öffnete. Sie betraten die Kirche und schlugen ein
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