Mönchsgesang
Das weiß verputzte Haus mit dem steilen Spitzdach.«
Dreylings Blick folgte dem Fingerzeig des Burschen. Dann nickte er ihm verzeihend zu und lenkte sein Pferd vor das Gehöft. Hier stieg er ab. Das Pferd bekam den strengen Befehl, sich nicht von der Stelle zu rühren. Dann trat Dreyling durch ein Gatter in den Hof. Vor einer Scheune war ein knorriger, aber zäher Mann damit beschäftigt, Holz zu hacken. Er stützte sich auf seine Axt, als er den Fremden bemerkte. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß. »Kann ich Euch helfen?«, rief er.
Dreyling schaute sich erst einmal gründlich um. Dann ging er gemächlichen Schrittes auf den Holzhacker zu. Mit einem stummen Nicken begrüßten sich die Männer. »Ist Jutta Eure Tochter?«, begann Dreyling.
In den Augen des anderen blitzte es auf. »In der Tat, das ist sie. Mein Name ist Johann. Und wer, bitte schön, seid Ihr?«
»Das ist Richmond Dreyling!«
Die beiden Männer schauten sich um. Jutta stand vor einem Hühnerstall, in ihren Händen ein Korb voller Eier. Ein Windhauch blies ihr eine schwarze Haarsträhne ins Gesicht. Ihre Mundwinkel zuckten in einer Unentschlossenheit, die sowohl Höflichkeit als auch Wachsamkeit offenbarte. »Das ist Richmond Dreyling!« wiederholte sie. »Mathäus' Vater!«
Dreyling starrte sie an, als wäre sie die Heilige Jungfrau in Person. Wieder schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass es ein ironischer Scherz des Schöpfers sein könnte, solche Schönheiten am Arsch der Welt gedeihen zu lassen.
Johanns Stimme beendete seine Gedankenspiele. »Freut mich, Euch kennen zu lernen, Herr Dreyling. Bitte, folgt mir in die Stube und seid unser Gast.«
Er führte ihn hinein, und Jutta folgte ihnen. Drinnen stellte er ihm Heilwig, seine Gattin, vor, die am Herd stand und in einem großen Topf rührte. Heilwig begrüßte ihn mit warmer Herzlichkeit und forderte ihn auf, am Tisch Platz zu nehmen.
»Das mit Eurer Frau tut uns Leid«, sagte sie ernst, was Dreyling wissen ließ, dass Jutta den Eltern ihre Begegnung nicht verschwiegen hatte. Aber was hatte sie bloß über ihn erzählt? Dass er ein bärbeißiger Kerl war? Das würde ihm seine Mission sicherlich erleichtern. Heilwigs herzerfrischende Freundlichkeit indes sprach eindeutig dagegen.
»Wollt Ihr etwas trinken? Milch? Oder etwas Wein?«
»Keinen Wein! Ein wenig Milch bitte«, erwiderte Dreyling schnell.
Bald saßen alle um den Holztisch versammelt, auch die kleine Maria, die dem Ankömmling in jedem unbeobachteten Moment die Zunge präsentierte.
»Ihr habt einen prächtigen Sohn, Herr Dreyling«, schwärmte Heilwig und sah den Gast mit leuchtenden Augen an.
Dreyling lächelte matt. »Seht Ihr das auch so, Johann?« Der Bauer trank an seiner Milch, fuhr mit dem Hemdsärmel über seinen Mund und sah dem anderen dann offen ins Gesicht. »Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich am liebsten einen Bauern zum Schwiegersohn hätte. Einen jungen kräftigen Mann, der eines Tages meinen Hof übernimmt, der sonst in fremde Hände fällt. Diesen Hof übernahm ich einst von meinem Vater, und an diesem Hof hängt mein ganzes bisheriges Leben. Und keiner meiner Söhne hat das frühe Kindesalter überlebt.«
Dreyling horchte auf. Ob ihm in diesem Mann ein Mitstreiter gegenübersaß? Lauernd beugte er sich vor. Doch schon die nächsten Worte, die Johann sprach, zerstörten seine Strategie, die er in Windeseile ersonnen hatte.
»Es ist aber nun einmal so, dass meine Tochter Gefallen an einem Mann gefunden hat, der noch nie in seinem Leben einen Dreschflegel geschwungen hat. Und dieser Mann ist Euer Sohn Mathäus.« Mit dem Ansatz eines Lächelns starrte er in seinen Becher. »Ich mag Euren Sohn sehr, Herr Dreyling. Aber vor allem schätze ich ihn. Ich gestehe, so sehr wie ihn schätze ich nicht viele andere Menschen. Und ich schätze den Willen meiner Tochter.« Er warf Jutta einen zärtlichen Blick zu, der sich allmählich in einen nachdenklichen verwandelte. »Und wer weiß schon, was der Herrgott mit ihr vorhat.«
Heilwig machte eine unwirsche Geste. Doch ihr Gesicht strahlte unverdrossen. »Findet Ihr nicht, dass Jutta und Mathäus ein wunderbares Paar abgäben, Herr Dreyling?«
Dreyling zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht.« Sein Blick blieb auf Maria haften. »Was hat es eigentlich mit der Kleinen auf sich?«, fragte er, um einen beiläufigen Ton bemüht.
Heilwig erklärte ihm in blumigen Worten, wie man das Mädchen im vergangenen Sommer aus den Fängen eines Menschenhändlers
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