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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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Kreuzzeichen in Richtung Altar. Mathäus betrachtete in stummer Ehrfurcht den Chor und das Holzkreuz in der Apsis, von dem der gemarterte Erlöser ihn verzeihend anblickte. Ein paar Heiligenfiguren in den Seitennischen des Hauptschiffes offenbarten erst auf den zweiten Blick, dass sie keine Menschen aus Fleisch und Blut waren. Vor seinem geistigen Auge sah der Dorfherr den alten Adam auf seinen Betstuhl knien, sah, wie der Mönch nach der weißen Lilie griff, die da vor seinen milchig trüben Augen lag, eine Todesbotin aus dem Jenseits. Er versuchte, sich die Reaktion des Alten auszumalen, doch Engelberts Hand, die er plötzlich auf seiner Schulter spürte, beendete seine Gedankenspiele.
    »Folgt mir nach unten«, sagte der Novizenmeister.
    Sie stiegen eine steinerne Wendeltreppe hinab. Unten öffnete Engelbert eine weitere Tür. Dann betraten sie die Krypta, einen gewölbigen, kühlen Kellerraum. Vor einem kleinen Altar standen zwei offene Särge, flankiert von eisernen Ständern, auf denen faustdicke Kerzen flackerten und die Krypta in ein gespenstisches Licht tauchten. Der modrige Geruch feuchter Steinwände sowie der Duft von heißem Wachs vermischten sich mit süßlichem Leichengeruch, den die Toten in ihren Särgen ausströmten. Mathäus reckte seinen Hals. Die weißen Gesichter der beiden Mönche waren eingefallen und spitz; die knochigen Hände auf ihren Bäuchen umklammerten ein rotes Holzkreuz mit einem weißen Querbalken.
    Engelbert hatte sich auf einen Betstuhl gekniet und flüsterte einen Psalm. Mathäus tat es ihm gleich, doch fehlte es ihm an Andacht, zu seinem Herrn und Schöpfer zu sprechen. Noch vor zwei Tagen, so überlegte er, waren diese sterblichen Überreste dort von beseeltem Leben erfüllt gewesen. Noch immer hatte er Bruder Theodor vor Augen, wie er aus der Apokalypse las, durch Anselms unwilligem Blick jedoch zum Aufschlagen einer anderen Textstelle veranlasst wurde. Und noch immer hallten die Worte in ihm nach, die der junge Mönch gestern im Kapitelsaal hatte verlauten lassen: »Manchmal musste ich mir äußerste Mühe geben, ihn nicht zu hassen. Doch nach seinem Tod hasste ich mich selbst ob der Gedanken, die ich gegen ihn gehegt hatte!« Der arme Theodor! Welche Stürme in seiner Seele wohl getobt haben mussten. Und nun war er selbst tot, lag aufgebahrt neben dem Mann, dessen Gegenwart ihm manchmal schier unerträglich gewesen war, dessen Ableben für so viel Wirbel gesorgt hatte. Die Wege des Herrn waren in der Tat oft unbegreiflich.
    Eigentlich hatte Mathäus gehofft, in der Stille der Krypta ein paar klare Gedanken fassen zu können, die ein wenig Licht in die dunklen Geschehnisse auf Kloster Schwarzenbroich bringen mochten. Doch beim Anblick der Toten stellte er erschüttert für sich fest, dass er immer noch weit von einer Lösung der Rätsel entfernt war. Vielleicht machte ihn aber auch die Gegenwart Bruder Engelberts befangen. Immer noch war der Mönch im Gebet versunken.
    Eilige Schritte von der Treppe her störten die Ruhe plötzlich empfindlich. Im nächsten Augenblick stürmte Reiner in die Krypta. Als er seinen Novizenmeister sah, senkte er sogleich schuldbewusst den Kopf. Es war ihm klar, dass Engelbert seine ungebührliche Hast tadeln würde.
    Engelbert warf ihm einen strengen Blick zu. »Wir sind hier nicht auf einem Jahrmarkt, Novize«, sagte er ungnädig.
    »Es tut mir Leid, Frater«, erwiderte Reiner zerknirscht, »doch ich suchte überall nach Herrn Mathäus und bin froh, ihn endlich gefunden zu haben.«
    Der Dorfherr zog die Stirn kraus. »Wieso? Was ist denn los?«
    »Es ist ein Bote für Euch eingetroffen.«
    »Ein Bote? Was für ein Bote?«
    »Einer von Burg Merode, Herr. Er wartet im Kapitelsaal.«
    Mathäus erhob sich aus seinem Betstuhl, nickte Bruder Engelbert kurz zu und folgte dem Novizen nach oben. Der führte ihn mit nunmehr bedächtigen Schritten durch den Kreuzgang, öffnete einige Türen, bis sie schließlich den Saal erreichten. Reiner machte eine Verbeugung und entfernte sich. Mathäus grinste den Mann an, der ihm dort gegenüberstand.
    »Dietrich! Welche Hiobsbotschaft bringst du mir diesmal? Denn dass es sich um eine Hiobsbotschaft handelt, ist wahrscheinlich. Nur selten brachtest du mir gute Nachrichten.«
    Der rothaarige Diener erwiderte das Grinsen gequält. »Ihr müsst sofort zur Burg kommen, Herr. Es ist etwas Fürchterliches passiert.«

13
    M athäus seufzte auf. »Was ist denn Fürchterliches passiert? Ist Paulus bei seinem alljährlichen

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