Mönchsgesang
wollte am gestrigen Tag etwas Verdächtiges gehört oder gesehen haben. Und niemand von ihnen hatte übermäßig nervös gewirkt.
Mathäus lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und presste nachdenklich zwei Finger auf seine geschlossenen Augenlider. Eine Zeit lang verharrte er müde in dieser Position. Plötzlich spürte er, dass er nicht mehr alleine war. Er öffnete seine Augen und brauchte einen Moment, bis er erkannte, wer dort vor ihm stand.
Es war Beatrix.
Der Dorfherr sprang von seinem Stuhl auf und stammelte irritiert eine Begrüßung. Beatrix lächelte ihn an; sie trug ein seidenes Kleid, das ihre Körperformen auffallend betonte. Ihre Haare fielen wallend über die Schultern nach vorne. So muss eine Fee aussehen, schwirrte es Mathäus durch den Kopf. Er versuchte, ihr Lächeln zu erwidern, doch sein Gesicht verzog sich zu einer nervösen Grimasse, wofür er sich am liebsten selbst geohrfeigt hätte. Beatrix' Worte erlösten ihn von dem Gedanken, die Konversation eröffnen zu müssen.
»Habt Ihr den Übeltäter bereits ausfindig gemacht, Herr Mathäus?«
Wieder war es ihre Stimme, die den Dorfherrn faszinierte. Er ließ sie eine Weile nachklingen, bevor ihm die Worte bewusst wurden.
»Was? Wie? Den Übeltäter? Nein, ich, äh … Ich habe, um ehrlich zu sein, nicht die geringste Ahnung.«
Beatrix zog bedauernd eine Augenbraue nach oben. Doch sie lächelte immer noch. »Sicherlich ist Euer Posten hier nicht ganz einfach«, sagte sie. Es klang nicht wie eine Frage, sondern mehr wie eine Feststellung.
»Wie? Ach so. Nun, man tut, was man kann, nicht wahr?«
»Ich kann mir gut vorstellen, dass es kein Vergnügen ist, Leuten wie Konrad oder Paulus zu dienen.«
Ihre Direktheit steigerte seine Verwirrung. Dümmlich grinsend kratzte er sich am Kopf. »Spielt das eine Rolle?«, stammelte er.
Beatrix hob ihre Schultern. »Ihr habt Recht! Was spielt schon eine Rolle im Leben? Wer fragt nach Wünschen und Gefühlen?« Ihr Blick schien mit einem Mal in weite Fernen entrückt. »Man wird geboren, und niemand kann sagen, wie lange dieses Leben währen wird. Man wächst auf, wird älter und bleibt ein Stück Treibholz im Strom der Zeit. Man wird vermählt, und keiner fragt nach Liebe oder Zuneigung. Und wenn der Gemahl ein Trunkenbold ist, schert das auch niemanden.«
»Warum verlasst Ihr Harper nicht?«, fragte Mathäus, doch noch während er sprach, bereute er seine Worte. Wie konnte er sich bloß dazu hinreißen lassen, dieser Frau seine Gedanken zu offenbaren? Ob sie ihn womöglich verzaubert hatte? Er nagte an seiner Unterlippe. »Ich rede Unsinn. Bitte, verzeiht mir«, bat er sie schließlich leise.
Beatrix deutete ein sanftes Kopfschütteln an. »Was sollte ich Euch verzeihen? Dass Ihr mir eine Frage stellt, die mich selbst verfolgt wie der Teufel eine schwarze Seele? Nein, Eure Frage ist durchaus berechtigt, Herr Mathäus. Und dennoch ist sie töricht, wie wir beide wissen.« Sie machte ein paar Schritte durch den Raum, bevor sie vor dem Dorfherrn wieder stehen blieb. »Ich möchte Euch nicht langweilen mit der Geschichte von der Tochter eines verarmten Ritters. Ihr könnt Euch ohnehin denken, was geschieht: Mein Vater ist heilfroh, dass sich bei meiner geringen Mitgift überhaupt ein Freier findet. Und schon erfüllt sich das Schicksal.«
»Harpers klügste Tat«, entfuhr es Mathäus ungewollt. Mit Unbehagen sah er das sinnliche Feuer, das seine Worte in Beatrix' Augen auslösten. Ihre Lippen begannen sich unendlich langsam zu öffnen.
»Was gäbe ich darum«, hauchte sie, »in den starken Armen eines Mannes mit Herz, Leidenschaft und Verstand zu liegen.«
Mathäus wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch ein Kloß in seinem Hals blockierte jedes Wort.
»Was gäbe ich für einen Mann wie dich«, fuhr Beatrix fort. Ihre Stimme war vollends in ein Flüstern übergegangen. »Du magst zwar unbedarft wirken, doch in Wirklichkeit bist du wie ein Edelstein.«
Mathäus schluckte. »Wer, ich?«
»Ja, du bist ein roher Edelstein, den man nicht schleifen sollte.«
Mit einer unendlichen Langsamkeit kam ihr Gesicht dem seinen näher. Er sah ihre roten, vollen Lippen, und sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
»Wir sollten das nicht tun!«, brachte er schließlich hervor.
Beatrix lächelte, als habe ein tumber Knabe ihr etwas Verrücktes erzählt. »Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht!« Er trat einen Schritt zurück, so dass sein Stuhl polternd umfiel. Es verwirrte ihn, dass das Lächeln auf den Lippen der
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