Mönchsgesang
entwichen waren, setzte allmählich Besserung ein. Inzwischen sind sie wieder in das Klosterleben integriert. Und das ist gut so, denn die anfallende Arbeit wäre ohne sie kaum zu bewältigen. Es ist so schon schwer genug.« Seine Stimme bekam einen säuerlichen Klang. »Wie Ihr ja sicherlich wisst, hat Euer Vorgänger sämtliche Klosterbedienstete nach Burg Merode geschickt.«
»Zu ihrer eigenen Sicherheit«, ergänzte Heinrich. »Lasst Euch versichern, dass die Laienbrüder unverzüglich zurückkehren werden, sobald die Sache geklärt ist.«
»Ja, ja. Homo proponit, sed Deus disponit!«
»Daran zweifle ich, Pater.«
»So? Und woran zweifelt Ihr? Dass der Mensch denkt, oder dass Gott lenkt?«
An beidem, wollte Heinrich erwidern. Doch er besann sich eines Besseren. Es war nicht der rechte Augenblick, mit einem Mönch theologische Fragen zu erörtern, zumal er auf dessen Vertrauen angewiesen war. Deshalb antwortete er: »Ich zweifle am Verstand vieler Menschen.«
»Wer kennt schon Gottes Absichten dahinter?«, erwiderte der Prior mit einem Anflug von Ungeduld. »Ich bitte Euch nun, mich zu entschuldigen. Ich muss die Totenmesse für Bruder Adam, Bruder Theodor und Iring lesen. Anschließend werden wir die drei zu Grabe tragen.«
»Sicher, Pater. Ich bitte Euch nur um die Erlaubnis, mich im Kloster frei bewegen zu dürfen.«
»Die habt Ihr.«
»Danke. Dann werde ich jetzt endlich dem Drängen meiner Blase nachgeben und die Latrine aufsuchen.«
»Sicher. Geht nur den Korridor hinunter, lasst das Refektorium zu Eurer Linken, und …«
»Danke, Pater, aber ich weiß, wo sich die Latrine befindet«, unterbrach ihn Heinrich mit einer sanften Geste.
Anselm nickte und wollte gehen. Doch plötzlich hielt er inne. »Ihr seid doch zum ersten Mal hier, nicht wahr?«, fragte er lauernd.
»Ja, Pater.«
»Dennoch wisst Ihr, wo sich die Latrine befindet?«
»Es ist nur so, Pater: Vorhin sah ich, wie einer Eurer älteren Mitbrüder in ziemlicher Eile durch diese Tür dort hinten verschwand«, erklärte Heinrich augenzwinkernd. »Zurück kam er sehr viel langsamer, mit einem Ausdruck der Erleichterung.«
Anselm sah ihn an wie eine Erscheinung. Dann verschwand er.
Heinrich hatte auf der hintersten Bank der Klosterkirche Platz genommen und lauschte den Mönchen, die inbrünstig ein Requiem sangen. Zwei Bänke vor ihm kniete Norbert von Kerpen; es war nicht schwierig gewesen, ihn aufgrund von Mathäus' Schilderung zu identifizieren. Während der Lesung hatte der Ritter unter den vorwurfsvollen Blicken der Mönche die Kirche betreten. Heinrich roch die Weindünste, die ihn umwehten, als er durch den Gang stolzierte; nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – tat er es den Mönchen gleich und sang aus Leibeskräften. Heinrich beneidete die Männer für ihre Gottesfurcht, doch andererseits machte er sich bewusst, dass möglicherweise – oder sehr wahrscheinlich sogar – ein Mörder unter ihnen weilte.
Vor dem Hochchor harrten auf drei Holzkarren drei blumengeschmückte Särge. Als der Prior schließlich die Totenmesse mit einem Gebet beendete, erhoben sich die Mönche von ihren Plätzen, begaben sich paarweise zu den Karren und zogen diese stumm durch den Mittelgang. Heinrich blieb zunächst auf seinem Platz und beobachtete die Prozession.
Anselm und Engelbert zogen den ersten Karren, auf dem sich Adams Sarg befand. Die beiden Mönche wirkten tief versunken.
Ihnen folgten Notker und Walraf, die den toten Theodor hinter sich herzogen. Ihre Augen blitzten erbost, als sie Heinrich ansichtig wurden.
Reiner und Karsil, die beiden Novizen, folgten ihnen, im Schlepptau den Sarg des in den Flammen ums Leben gekommenen Iring. Heinrich fragte sich, welche Überreste man von dem armen Kerl wohl noch gefunden haben mochte.
Der alte Edmond, dem man offensichtlich keine körperliche Anstrengung zumuten wollte, folgte den rumpelnden Karren gebeugt, und das Knirschen der Räder hallte traurig-schauerlich durch die Kirche.
Den Schluss des Leichenzuges bildete Norbert von Kerpen. Er bedachte Heinrich mit einem neugierigen Blick, obwohl er Mühe zu haben schien, sich auf den Beinen zu halten.
Als der Leichenzug die Kirche verlassen hatte, erhob sich Heinrich von seiner Bank. Das mächtige Holzkreuz in der Apsis erschien ihm plötzlich wie ein Fanal. Einen Augenblick lang war er versucht, sich zu bekreuzigen – ein Relikt aus früheren Zeiten –, doch dann ließ er es kopfschüttelnd bleiben und folgte dem Leichenzug nach
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