Mönchsgesang
ja wirklich der Teufel, der Einzug in unsere Mauern gehalten hat.«
»In der Nacht, in der Bruder Adam starb«, erzählte Karsil nachsinnend, »wurde ich wach durch laute Schritte auf dem Flur. Doch es waren keine normalen Schritte, Herr, es klang wie …«
»Ja, Karsil?«
»Bitte, verspottet mich nicht, aber es klang, als wäre einer der Schuhe behuft gewesen.« Er schien mit sich zu kämpfen, ob er weitersprechen sollte. »Sagt man nicht, dass der Teufel einen Pferdefuß hat?«, flüsterte er schließlich.
»Ja, das sagt man«, stimmte Heinrich zu. »Aber warum hast du das nicht schon Mathäus, dem Dorfherrn von Merode, erzählt?«
Karsil senkte verlegen seinen Kopf. »Nun, ich redete mir ein, nur geträumt zu haben. Außerdem wollte ich mich nicht wichtig machen.«
Vom Kloster her erklang eine Glocke. »Wir müssen nun gehen, Herr«, erklärte Karsil, der sichtlich erleichtert war, sich entfernen zu können.
Heinrich spreizte die Hände. »Sicher, geht nur. Wir sehen uns später noch.«
Eilig huschten die beiden Novizen davon.
»Puh!« machte Reiner, als sie sich bereits auf dem Klosterhof befanden. »Wie kann ein Mensch bloß so viel fragen?«
»Kein Wunder, dass man ihm die Visage poliert hat«, erwiderte Karsil. »Bei solcher Neugier …«
Die beiden lachten, doch es klang eher, als wollten sie damit ihre Bedrückung verdrängen. Schließlich verschwanden sie im Klostergebäude.
Am Himmel war längst wieder eine Front dunkler Wolken angerückt. Heinrich sah es durch die milchig trüben Fensterscheiben, die er interessiert begutachtete. Als er seine Wissbegierde befriedigt sah, setzte er sich auf das Bett und zückte aus einem mitgebrachten Bündel einen Laib Dinkelbrot hervor. Mathäus hatte ihm das Versprechen abgenommen, keinerlei Speisen von den Mönchen anzunehmen. Deshalb hatte er seinen Freund reichlich mit Proviant eingedeckt.
Nachdem Heinrich seinen Hunger gestillt hatte, erhob er sich, kramte ein Stück Pergament und einen Federkiel aus seinem Bündel und begab sich zum Tisch, wobei er fast über seinen Hund gestolpert wäre, der sich auf dem Fußboden breit gemacht hatte. Er murmelte einen Fluch und setzte sich. Dann begann er die Eindrücke dieses Morgens niederzuschreiben.
19
M athäus spurtete über den Hahndorn, um dem einsetzenden Regen zu entkommen. Schnatternde Gänse und gackernde Hühner flatterten aufgescheucht zur Seite. Ein vorwitziger Köter schnappte nach dem Bein des sich sputenden Dorfherrn; ein wütender Tritt des Attackierten beendete diesen Angriff. Winselnd trollte sich der Hund.
Bald stand der Dorfherr vor dem Haus des Wiprecht. Kein Zweifel, Wiprecht gehörte zu den ärmeren Bauern der Herrschaft. Sein bescheidenes Haus mit dem abbröckelnden Putz wirkte renovierungsbedürftig, und ein angrenzender Holzschuppen schien kurz vor dem Einsturz. Ein trauriger Hahn, der kaum noch Federn besaß, hockte stumpfsinnig vor der morschen Haustür des Bauern. Träge machte er Mathäus Platz.
Wiprechts Frau öffnete ihm. Sie war sicherlich nicht älter als Mathäus, doch in ihren Mund klafften gewaltige Zahnlücken. Auch die graue Haube, die sie trug, war nicht gerade geeignet, sie jünger wirken zu lassen.
»Darf ich eintreten?«, fragte Mathäus freundlich.
Die Frau nickte nur.
Beißender Rauch schlug ihm entgegen, als er die Stube betrat. Dieser wurde verursacht durch offenbar feuchte Holzscheite, die in der Feuerstelle an der Stirnseite der Stube unter einem rußgeschwärzten Abzug schwelten und kaum imstande waren, Wärme zu verbreiten. Über den zischenden Holzscheiten baumelte ein alter, unförmiger Topf, aus dem wenig appetitanregender Geruch entwich und sich mit dem Rauch auf unerquickliche Weise vermischte.
Mathäus sah sich um. Auf dem lehmgestampften Fußboden hockte ein halbes Dutzend Kinder, das jüngste etwa fünf, das älteste vielleicht dreizehn Jahre alt. Sie unterbrachen ihr Murmelspiel und sahen den Dorfherrn neugierig an.
Auf einer Bank in der Nähe der Feuerstelle saß ein weiteres Kind, das man jedoch getrost schon als junge Frau bezeichnen konnte. Mathäus wusste, dass es sich hierbei um Edeltrud handelte, Wiprechts älteste Tochter.
Auch Edeltrud hielt in ihrer Tätigkeit inne. Sie war mit Näharbeiten beschäftigt; nun hob sie ihren Lockenkopf und bedachte den Dorfherrn mit einem fragenden Blick, der beinahe ängstlich wirkte. Im Gegensatz zu ihrer verblühten Mutter konnte man Edeltrud fast eine Schönheit nennen. Das helle Blöken eines
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