Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Ihnen berichten, dass Miriam Kleinert beim Frühstück mit Ma und Pa wohlauf war, dass sie also nicht gestern Abend vor ihrem Laptop sitzend erschlagen wurde. Wenn ich mir nun die Resultate unserer leidenschaftlichen Ermittlung anschaue, komme ich zu dem Schluss: Es gibt keine Miriam in Rostock, die an der hiesigen Universität … wie heißt die eigentlich?«
»Universität Rostock?«
»Nur? Früher war’s ja mal die Wilhelm-Pieck-Universität, kurz WPU. Na ja, Wilhelm Pieck passt vielleicht wirklich nicht mehr. Barbara-Riedbiester-Uni würde es auch tun: BRU.«
»Klingt wie’n Flughafenkürzel …«
»Kurz und gut: Eine Miriam, die in Rostock Germanistik, Pädagogik und Kommunikation studiert, existiert nicht. Es gibt natürlich noch die Möglichkeit, dass die Matrikellisten nicht ordentlich geführt werden. Aber kann man sich das an einer deutschen Universität vorstellen, wo doch gerade das Führen von Listen den Deutschen so viel Freude macht?«
Uplegger spann den Gedanken weiter: »Wenn wir außerdem davon ausgehen, dass die IP-Adresse falsch ist, können wir Miriam getrost in Anführungszeichen setzen. Sie könnte anders heißen und trotzdem an der Uni studieren.«
»Ja. Und diesen Hagner hat sie gemeinsam mit einem Freund, Lebensgefährten, Kommilitonen oder dergleichen auf den Arm genommen. Das ist grober Unfug und nicht mal das Vortäuschen einer Straftat, oder? Na ja, und diese beiden Dorfpolizisten sind vielleicht etwas paranoid. Das wird man womöglich in Liestal. Ich persönlich hatte bislang von diesem Ort noch nie gehört. Vielleicht existiert er nur als Wahnvorstellung eines Schizophrenen?«
»Liestal kommt manchmal in Kreuzworträtseln vor. Hauptort des Kantons Baselland? Liestal.«
»Was haben Sie denn mit Kreuzworträtseln zu schaffen?«
»Gar nichts. Aber meine Eltern sind jetzt im Vorruhestand und führen daher ein noch reglementierteres Leben als vorher. Jeden Tag nach dem Frühstück lösen sie eine Stunde lang Rätsel. Angeblich ist das gut für die grauen Zellen.«
Barbara zuckte mit den Schultern. Uplegger zog seine Aufmerksamkeit von der einen sinnlosen Beschäftigung ab und widmete sie der nächsten, deren Ergebnisse er Barbara nach wenigen Minuten mitteilen konnte: »Der Kanton Baselland gliedert sich in die Bezirke Laufen, Arlesheim, Liestal, Sissach und Waldenburg. Liestal hat knapp 14000 Einwohner.«
»Und Arlesheim ist quasi eine Bezirkshauptstadt?«
»Ja.«
»Einwohner?«
»Fast 9000. Und einen barocken Dom.«
»Na, der reißt alles heraus! Was ist das für ein Land, in dem Bezirkshauptstädte nicht mal 10000 Einwohner haben und Kripo-Oberleutnants Erni und Widder heißen? Die Schweiz, das ist kein Staat, sondern ein Treppenwitz der Weltgeschichte …«
»Das sehen die Schweizer sicher anders«, meinte der Lorbass, der soeben den Raum betreten und Barbaras letzte Worte mitbekommen hatte. Er hatte nach allen Miriams und Myriams unter der gesamten Studentenschaft suchen sollen. Zu dritt arbeiteten sie seine Liste ab. Stunde um Stunde telefonierten sie, und ein paar Mal begab sich Lutze in die Spur, nur um mit dem Ergebnis zurückzukehren, dass Miriam X oder Myriam Y oder Miriam Z noch lebe, ein ganz anderes Profil bei Facebook oder StudiVZ oder – in immerhin zwei Fällen – gar keins habe.
Barbara seufzte immer öfter, Uplegger schaute immer häufiger auf die Uhr. Die ging auf neun, auf zehn, schließlich auf Mitternacht – nun waren sie allesamt der Überzeugung, es mit einem Fake, einem Joke, einem Gag oder einfach mit ausgemachtem Blödsinn zu tun zu haben. Alle 27 Miriams und alle drei Myriams, die sich an der Universität Rostock zum Studium eingeschrieben hatten, waren am Leben, und bis auf eine Frau, die im Rollstuhl saß, schienen sich auch alle bester Gesundheit zu erfreuen. Unter den Personen, die in ganz Mecklenburg-Vorpommern seit dem Morgen vermisst gemeldet waren, befand sich niemand passenden Namens. Die Überprüfungen an den anderen Hochschulen des Landes liefen noch, aber sie wurden nur vorgenommen, damit man schließlich sagen konnte, man habe wirklich alles versucht.
Exakt um 23:47 Uhr rief Barbara Gunnar Wendel in seinem Kuhdorf an und teilte ihrem Chef mit, was sie hatten, nämlich eigentlich gute Nachrichten, die sie wegen der vergeudeten Zeit jedoch ärgerten: Eine Leiche wäre ihr beinahe lieber gewesen. Wendel entschied, die Staatsanwaltschaft nicht zu informieren und auf die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens zu
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