Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
in den Regen. »Ich wollte Sie anrufen, um Ihnen mitzuteilen …«
»Einen kleinen Moment, bitte! Ich habe noch etwas für Sie. Wir konnten die Ai-Pi der Miriam knacken. Will sagen: des vermutlichen Opfers, das gar nicht Miriam heißt.« Oberleutnant Erni legte eine Bedeutungspause ein, ließ seine Worte wirken. Barbara schwieg, wollte dem Liestaler Dorfgendarmen seinen Triumph nicht nehmen. »Sie heißt nämlich Mary Cohn Mallé und lebt mit Sicherheit auf der Kanalinsel Guernsey.«
Der Schweizer Kriminalbeamte war sehr enttäuscht, als Barbara ihm die Augen öffnete, aber er war professionell genug, um sie zu ihrem Fahndungserfolg zu beglückwünschen. Nun konnte von einem Fahndungserfolg kaum die Rede sein, sondern eher von einem gesteuerten Zufall – in einer Welt mit gelenkten Demokratien gab es so etwas vermutlich auch. Barbara informierte Erni über die Mail mit dem zweifelhaften Absender, und auch er konnte sich nur vorstellen, dass Hagner dahinter steckte, sodass er versprach, dem jungen Chemielaboranten noch einmal und nötigenfalls auch öfter auf den Zahn zu fühlen.
Mit nassem Gesicht und feuchtem Haar kehrte Barbara auf den Gang zurück. Sie fühlte sich jetzt wach und dem Ungemach eines Tages gewachsen, der damit begonnen hatte, dass Kuddel nicht anspringen wollte.
Der Mann ohne Eigenschaften und sein Kofferträger waren verschwunden, Kriminaltechniker trugen Pappkartons aus der Wohnung. Als Barbara spürte, wie die Tür in ihrem Rücken geöffnet wurde, drehte sie sich um. Uplegger und der Lorbass kamen aus Richtung des Treppenhauses.
Bevor sie etwas sagen oder fragen konnte, rief Lady Green-sleeves nach ihr. Oberleutnant Erni.
»Ich habe mit Hagner gesprochen«, sagte er. »Am Telefon. Er möchte nichts von der E-Mail und dem Absender mit der AOL-Adresse wissen. Ich werde mich wohl auf den Weg machen und ein Vieraugengespräch führen – das macht gelegentlich redselig, odrrr?«
»Haben Sie es denn weit nach … äh, Arles…?«
»Arlesheim? Nein, nicht weit.« Er lachte. »Wir sind hier in der Schweiz, odrrr? Bei uns sind alle Wege kurz, außer vielleicht die Amtswege.« Er lachte noch einmal. Sollte er eine Neigung zur Selbstironie haben, war das eine gute Voraussetzung, um Barbaras Sympathie zu erringen. »Außerdem haben wir eine perfekte Infrastruktur«, erlaubte er sich eine Spitze gegen Deutschland.
»Sind die Züge bei Ihnen wirklich immer pünktlich?«
»Pünktlich wie bei den Preußischen Staatsbahnen – vor mehr als hundert Jahren. Aber vor allem haben sie Anschluss. Au revoir, Madame!«
»Halt!« Barbara war noch etwas von eminenter Wichtigkeit eingefallen. »Mich überrascht, dass die Polizei bei Ihnen militärische Dienstgrade hat. In Der Richter und sein Henker , da ist doch dieser … wie heißt er denn noch?« Barbara schnippte mit den Fingern. »Bärlauch?«
»Fast. Bärlach.«
»Und der ist doch Kommissär? Das hat mich als Jugendliche so beeindruckt: Kommissär statt Kommissar.«
»Die Schweizer Polizeikommissäre sind ausgestorben«, sagte Erni. »Nur bei der Polizei Basel-Stadt gibt es sie noch.«
»Fehlen sie Ihnen?«
»Nun, lassen Sie mich nachdenken …« Erni überlegte. »Ich empfinde den Oberleutnant gar nicht als besonders militärisch. Als es noch Kommissäre gab, war die Polizei viel hierarchischer aufgebaut, odrrr? Mein erster Chef war Kommissär. Nein, nein, sie fehlen mir nicht. Auf keinen Fall!«
***
Uplegger, Barbara und Lutze beschlossen, das weitere Vorgehen auf dem Revier Lichtenhagen zu beraten; Barbara hoffte auf einen starken Kaffee, so wie ihn vor allem Polizisten zu brauen verstanden. Im Treppenhaus kam ihnen auf Höhe des zweiten Stocks Ann-Kathrin Hölzel entgegen und richtete ihnen vom Chef aus, dass ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen eines Tötungsdeliktes eingeleitet worden sei. Ab jetzt war die Mordkommission quasi mit staatsanwaltschaftlichem Segen tätig.
Ann-Kathrin hatte noch einmal ausführlich mit der Wachschützerin gesprochen und sich die fünf Wohnungen zeigen lassen, aus denen das WaterkantOtel bestand; sie lagen über zwei Etagen verstreut, bildeten also keine Einheit. Keine der Wohnungen war momentan belegt, wie ein Telefonat mit dem Geschäftsführer der WBG Waterkant bestätigt hatte. Der schwarz gekleidete Mann mit dem Kapuzenshirt musste ein anderes Ziel gehabt haben.
Er war verdächtig, aber nicht mehr als andere. Insgesamt wollte Frau Hönig in der Zeit zwischen 22 und 24 Uhr nur fünf Personen
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