Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
irgendwie zu Ihnen.«
Roter konnte ein Menschengesicht gar nicht mehr werden. Uplegger brummte etwas vor sich hin, Ann-Kathrin erklärte sich bereit, die mutmaßliche Schichtarbeiterin Christen zu übernehmen. Barbara selbst behielt sich die Lektüre der Tagebücher vor, war aber bereit, einige an Lutze abzugeben, schließlich musste sie jemand in die Dienststelle fahren. So geschah es dann auch. Um 8:27 Uhr stürmten die Kriminalbeamten in die Schlacht. Bereits vier Minuten später erreichte Uplegger seinen Einsatzort. Er ging aber keineswegs sofort auf die gutfrisierte Dame los, sondern verstrickte, einer Eingebung folgend, die männliche Ablösung der Frau Hönig in ein Gespräch. Ein Gespräch mit einem ganz besonderen Ergebnis.
***
Bevor sich Barbara den Tagebüchern widmete, erledigte sie eine eher hausfrauliche Obliegenheit und wischte mit dem schon bereitliegenden Feudel die große Wasserpfütze unter dem Fenster auf. Dann führte sie ein paar dienstliche Telefonate. Nach einigen aufreibenden Gesprächen mit anderen Behörden – Faultierhäusern wie Standes- und Landeseinwohnermeldeamt – wusste sie, dass Lenas Schwester als Lisa Schultz zur Welt gekommen und fast zwei Jahre älter war, dass sie nunmehr Meyer hieß, also den Allerweltsnamen gewechselt hatte, und dass ihr Mann Aaron Amerikaner war, geboren in Charlotte, Mecklenburg County. Seit einem halben Jahr gab es Nachwuchs, einen Sohn namens Gabriel, und die kleine Familie lebte im Wohnquartier Ostseewelle am Rande des Neubaugebietes Lichtenhagen. Barbara vermutete richtig, dass bei einem Kind von sechs Monaten wohl ein Elternteil zuhause sein würde. Aaron Meyer ging an den Apparat. Er sprach ein fast akzentfreies Deutsch, was Barbara frappierte, während er seinerseits von einem Anruf der Kriminalpolizei überrascht war.
»Sie betreuen Gabriel?« Barbara sprach den Namen englisch aus, Aaron Meyer korrigierte sie nicht. »Und Ihre Frau geht zur Arbeit?«
»Ist in Deutschland doch nichts Besonderes. Worum geht’s denn?«
Barbara wollte noch ein wenig Zeit gewinnen: »Wo arbeitet Ihre Frau?«
»Beim Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern. Aber nun sagen Sie doch bitte …«
»Es handelt sich um Ihre Schwägerin Lena Schultz.« Kurzes Durchatmen. »Wir haben Anlass zu der Vermutung, dass ihr etwas zugestoßen ist.«
»Wie bitte?«
»Wir haben Anlass zu der Vermutung, dass ihr etwas zugestoßen ist.«
»Ich verstehe nicht. Ist ihr etwas zugestoßen oder nicht?«
»Wissen Sie, ich würde Sie und Ihre Frau gern persönlich sprechen«, sagte Barbara. Unter irgendwelchen Papieren auf ihrem Schreibtisch tönte Lady Greensleeves , und sie schob mit der freien Hand die Dokumente beiseite. Als sie auf das Handy stieß, klappte sie es mit der einen Hand auf und fragte zugleich: »Wann ist Ihre Frau daheim?«
»Nicht später als 19 Uhr.«
»Gut, dann muss ich sie auf der Arbeit aufsuchen.« Die angezeigte Nummer verriet, dass Uplegger nach Barbara verlangte. »Moment!«
»Was ist denn nun los?«
»Moment!«
Das Telefonat mit Jonas war kurz, aber ergiebig. Barbara drohte ihr Kommen an, wenn sie ein paar wichtige Dinge erledigt hatte, dann war sie wieder für Herrn Meyer da. Der hatte nicht aufgelegt. Es war auffallend ruhig in seiner Wohnung. Barbara hatte eigentlich das Quäken eines Säuglings im Hintergrund erwartet.
»Wir haben massive Blutspuren in der Wohnung Ihrer Schwägerin gefunden und sie selbst ist verschwunden. Was das bedeutet, wissen wir noch nicht. Deswegen möchte ich ja mit Ihnen sprechen. Aber zuvor … Herr Meyer?« Es war nichts zu hören, nur vielleicht ein leises Atmen, aber das konnte auch eine akustische Täuschung sein. War der Ami in Ohnmacht gefallen? Aber dann hätte man es doch poltern gehört. »Herr Meyer? Mister Meyer?«
»Ja, I’m here. Ähm … Blut, sagen Sie?«
»Die ganze Wohnung voll.«
»Ja, ja, but … also ich war lange nicht da. Bei Lena.«
Warum betonte er das jetzt? Barbara hatte doch gar keinen Verdacht geäußert. War er durcheinander? Erschüttert und verwirrt? Trotz ihres guten Gehörs für Zwischentöne, hier vernahm sie keine.
»Sie verstehen, warum ich möglichst bald mit Ihrer Frau sprechen muss? Und mit den Eltern natürlich. Würden Sie mir deren Anschrift und Telefonnummer geben?«
»Eltern?«, fragte er tonlos.
»Ja, Lenas Eltern. Die auch die Ihrer Frau sind.«
»Natürlich, natürlich, excuse me! Haben Sie …?«
»Ich schreibe praktisch schon«, sagte Barbara.
Frau Nerdich
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