Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
gesehen haben: Besenbinder und den Kapuzenmann, ein ihr namentlich unbekanntes Ehepaar und die alte, immer korrekt frisierte Frau Nerdich, für die sie einmal ein Paket in Empfang genommen hatte. Daher rührte die Kenntnis des Namens. Und sie wusste auch, dass der Absender Amazon gewesen war.
»Dann habe ich gefragt, wer außer dem Kapuzenmann das Haus in der fraglichen Zeit verlassen hat«, erklärte Ann-Kathrin, während sie gemeinsam treppabwärts gingen. »Wie ich darauf komme, dass er das Haus wieder verlassen hätte, wollte sie wissen. Eine berechtigte Frage, oder?«
Barbara nickte. Sie hatten das Erdgeschoss erreicht und schickten sich an, die Halle mit den Briefkästen zu durchqueren. In der Pförtnerloge saß jetzt ein Mann.
»Der Schwarzgekleidete hat das Haus nicht wieder verlassen«, fuhr Ann-Kathrin fort. »Er wohnt vielleicht hier.«
Lutze warf ein: »Sie hat doch aber zum Kollegen Uplegger gesagt, sie hätte ihn noch nie gesehen!«
Alle Blicke richteten sich auf Jonas. Obwohl es nicht den geringsten Grund gab, wurden seine Wangen heiß, und das hieß wohl, auch rot.
»Sie hat ihn ja eigentlich nicht richtig gesehen, jedenfalls nicht sein Gesicht. Und so gut scheint mir ihre Beobachtungsgabe nicht zu sein, denn dass er eine große Reisetasche bei sich hatte, hat sie jedenfalls nicht bemerkt.«
»Damit könnte man sie doch einmal konfrontieren«, schlug Lutze vor.
»Sie wird antworten: ›Danach haben Sie mich ja nicht gefragt‹«, sagte Barbara.
»So antworten Zeugen nur im Film.«
»Eben drum. Daher haben sie es ja – die Zeugen im richtigen Leben. Haben Sie es noch nicht bemerkt? Die Menschen werden immer mehr zu Filmfiguren oder sprechen wenigstens so. Dass sie in Vernehmungen dauernd nach ihren Anwälten krähen, obwohl sie keine haben, das kommt auch vom Fernsehen. Und alle wundern sich, dass wir nicht sagen: Sie haben das Recht zu schweigen … Medien schaffen Realität, würde ein Daniel Morbacher vielleicht sagen. Ich möchte ergänzen: Für manche Menschen die gesamte.«
Ein »Hugh, sie hat gesprochen« konnte Uplegger sich nicht verkneifen.
»Warum sollten wir Frau Hönig überhaupt mit etwas konfrontieren?«, fragte Ann-Kathrin. »Weil sie eine Reisetasche nicht gesehen hat? Wenn wir das bei jedem Zeugen machen würden, der etwas nicht gesehen hat, kämen wir aus dem Konfrontieren gar nicht mehr heraus.«
Inzwischen waren sie auf dem Parkplatz angelangt.
Ann-Kathrin hatte noch mehr zu berichten. »Natürlich haben in der fraglichen Zeit auch Leute das Hochhaus verlassen. Eine Frau Christen ging gegen 23 Uhr an dem Fenster vorbei, hinter dem die Wachschützerin sitzt …«
»Das muss doch ein ätzend langweiliger Job sein«, entfuhr es Lutze wie ein Stoßseufzer.
»Besser als keiner, denk ich mal. Diese Frau Christen, circa 55, arbeitet wohl Schicht – jedenfalls meint die Hönig, dass sie auf dem Weg zur Arbeit war. Und dann kamen drei Jugendliche, zwei Jungs und ein Mädchen. Alle wohnen im Hochhaus, und der späten Stunde wegen meint sie, die werden wohl zur Disko im Einkaufscenter WarnowPark gegangen sein. WarnowPark mit großem P.«
»Irgendwelche Namen?«, fragte Uplegger.
»Nein.«
Upleggers Lancia war eine Anschaffung aus der Zeit vor dem Tod seiner Frau, und Barbara war sicher, dass er sich nicht wieder ein solches Protzgefährt kaufen würde. Etwas überrascht schaute er sie an, weil sie ihm auf dem Fuße zu seinem Privatwagen folgte, während Lutze und Ann-Kathrin zu dem blauen Audi aus dem Fuhrpark des PP Rostock gingen.
»Was ist mit Kuddel?« Selbstverständlich kannte Uplegger den Namen des Wagens seiner Kollegin und fand ihn lächerlich, hatte das aber noch nie ausgesprochen.
Sie legte mit dramatischer Geste die rechte Hand flach auf den Busen: »Ich fürchte, er liegt im Sterben. Bisher ist der Motor ja noch angesprungen, wenn auch oft nach langem Stottern, aber heute ging gar nichts mehr.«
Uplegger entriegelte die Türen mit der Fernbedienung. »Da werden Sie sich wohl bald einen Neuen kaufen müssen.«
»Ach, was!« Barbara öffnete die Tür auf der Beifahrerseite. Unter ihrem Gewicht sank der Wagen um einige Zentimeter. »Ich halte es mit Kaiser Wilhelm, der gesagt hat: Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung .«
Uplegger startete den Motor. »Ich kann mich täuschen, aber mir kommt es vor, als hätte der Kaiser sich geirrt.«
In ihrem Ringen um das letzte Wort erklärte sie: »Nicht nur in Sachen Pferd
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