Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
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»Şanlıurfa werden Sie wahrscheinlich nicht kennen, obwohl dort die Geburtshöhle Abrahams verehrt wird«, nahm er den Faden wieder auf. »Vielleicht sagt Ihnen sein antiker Name Edessa etwas. Die Deutschen nennen die Gegend tiefstes Anatolien. Na ja, ich kenne es auch nur von Verwandtenbesuchen. Ich war drei Jahre alt, als meine Eltern nach Deutschland kamen. Nach Berlin. Damals noch Westberlin.«
Barbara nickte etwas stupide vor sich hin.
»Sagen Sie, Herr … Wir möchten Ihren Namen nicht falsch aussprechen …«
»Verstehe. Sie meinen den ungerundeten geschlossenen Hinterzungenvokal.«
»Bitte, was?« Barbara schaute zum Sprachgenie, aber der Lautverschieber zuckte mit den Schultern.
Yılmaz ließ sie nicht lange zappeln. »Der ungerundete geschlossene Hinterzungenvokal: das I ohne I-Punkt. Ich werde meinen Namen mal deutlich aussprechen.« Der gewisse Vokal klang wie ein dumpfes, dunkles Mittelding zwischen I und E. »Daran merken Sie schon, dass es falsch ist, Raki zu sagen.«
»Sie beschäftigen sich wohl sehr mit Sprache?«
»Na ja, ich habe Sprachen sogar studiert.« Herr Yılmaz wurde unterbrochen, weil seine Gattin den Raum betrat. Barbara war darauf gefasst gewesen, dass sie vielleicht ein Kopftuch tragen würde – ehrlich gesagt, sie hatte sogar mit einem Schleier gerechnet –, aber Frau Yılmaz trug Jeans und einen Troyer, der ihr zu groß war und wohl ihrem Mann gehörte, und sie war eindeutig eine Deutsche. »Meine Frau Brigitte«, stellte er vor, mit einem zärtlichen Lächeln. »Ihretwegen lebe ich in Rostock. Wir arbeiten beide als freie Übersetzer für die Agentur linguafranca . Türkisch, Kurdisch, Arabisch und sogar etwas so Exotisches wie Krimtatarisch, wobei das in den 16 Jahren, in denen wir diese Arbeit machen, erst einmal nachgefragt wurde. Das Exotische bringt am meisten Geld.«
Frau Yılmaz stellte ein rundes Tablett auf den Tisch. Das Geschirr war klein, fast puppenstubenhaft. Es bestand aus drei Teegläsern, einem metallenen Kaffeekännchen auf einem Stövchen, einem Mokkatässchen sowie Zuckerdöschen und Kaffeesahne. Auch die Löffel waren klein, und Barbara musste an Schneewittchen und die sieben Zwerge denken.
»Ich übersetze auch Japanisch«, ergänzte sie, während sie Barbara die Sammeltasse hinstellte. »Und dolmetsche.«
Uplegger bekam ein Teeglas, was ihn verwundert aufschauen ließ.
»Ich habe gesehen, dass Sie ein höflicher Mensch sind«, erklärte Yılmaz. »Sie wollten lieber Tee, aber weil Sie uns Umstände ersparen wollten, haben Sie Kaffee gesagt.«
Barbara grinste, während Jonas sagte: »Sie haben mich durchschaut.«
Als auch Frau Yılmaz Platz genommen hatte, kam Barbara auf das Anliegen ihres Besuches, auf Lena Schultz und die Wohnung im fünften Stock.
»Eine junge Frau, die manchmal tage- und nächtelang fort ist«, sagte Brigitte Yılmaz. Sie nickte, als Barbara ihr ein Foto zeigte.
»Weiter kennen wir sie nicht«, sagte ihr Mann rasch. Zu rasch.
Uplegger hakte nach: »Sie wissen aber, dass es eine junge Frau ist?«
»Man trifft sie manchmal im Hausflur oder auf der Straße.«
»Guten Tag, guten Weg«, fügte die Frau hinzu.
»Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, warum sie manchmal so lange fort ist?«, fragte Barbara.
Beide Eheleute senkten den Kopf.
Er sagte: »Nein.«
Sie sagte: »Wir machen uns eher Gedanken, was sie treibt, wenn sie da ist.«
»Brigitte!«
»Uns muss das doch nicht peinlich sein. Sie hat viel Männerbesuch.«
»Ach?« Barbara hatte gerade nach dem Tässchen greifen wollen. »Das klingt nach verschiedenen Männern.«
»Was man so sieht. Und wir hängen ja nicht am Spion, schon weil wir gar keinen haben. Aber wenn die junge Frau da ist, dann kommen immer Männer. Manchmal hört man auch, wenn es da oben zur Sache geht.«
»In der Türkei würde man sie Hure nennen«, brach es aus Herrn Yılmaz heraus.
Uplegger hatte den Schlüsseldienst gerufen, mit dem die Rostocker Kripo laut Gunnar Wendel seit Anbeginn der Zeiten zusammenarbeitete, und wieder einmal beobachtete er erschrocken, wie schnell ein Profi eine Tür öffnen konnte. Diese hier hatte zwei Schlösser, und trotzdem brauchte er nur sieben Minuten.
Die Dampframme übernahm die Führung, Uplegger folgte, gemeinsam mit Herrn Flegel vom Ordnungsamt, der für das horizontale Gewerbe in der Stadt zuständig war. Da die Inhaberin der zu durchsuchenden Räumlichkeiten ihr Anwesenheitsrecht nach § 106 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht wahrnehmen
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