Moerder Im Gespensterwald
Freitagnachmittag besucht?«
»Warum sollte ich nicht?«
»Sie fahren doch nie an einem Wochentag nach Boltenhagen.«
»An diesem Freitag eben doch! Haben Sie eine Ahnung, wie viel ich schuften muss? Meine Firma ist kein Großkonzern, der Erfolg beruht zum Großteil auf Selbstausbeutung. Am Freitag war einfach der Riemen runter, verstehen Sie? Ich brauchte eine Auszeit.«
»Und da haben Sie nichts Bess… nichts anderes zu tun, als Ihren Vater zu besuchen?«
Bevor er antworten konnte, legte Barbara nach: »Wie steht es denn um Ihre Firma?«
»Gut.«
»Wird das die Wirtschaftsauskunftei, die wir konsultieren werden, auch so sehen?«
»Bezweifeln Sie es?«
Barbara hob abwehrend die Hände. »Wie werde ich es wagen … bei all der Selbstausbeutung. Sie haben wirklich keinen Schlüssel zu dieser Wohnung?«
Er schwieg, aber es war zu spüren, dass er sich in die Enge getrieben fühlte. Er war schließlich nicht auf den Kopf gefallen, vermutlich dämmerte ihm, dass er gesehen worden war. Barbara rechnete mit einem Wechsel zur Salamitaktik.
»Normalerweise habe ich keinen Schlüssel. Vorgestern hat mir mein Vater aber einen gegeben, damit ich ein bisschen aufräume. Sie sehen ja, wie es hier aussieht.«
»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
»Sie haben so gefragt, als würden Sie wissen wollen, ob ich ständig einen Zweitschüssel habe.«
»Stellen Sie sich nicht naiv! Ich wollte wissen, ob Sie einen Schlüssel zur Wohnung Ihres Vaters haben. Von ständig war keine Rede, und Sie haben Nein gesagt, also gelogen.«
Tizian hakte nach: »Ihr Vater hatte am Freitag zwei Schlüsselbunde bei sich?«
Kranbauer nickte.
»Zeigen Sie mir mal den, den er Ihnen gegeben hat.«
»Den habe ich nicht dabei.«
»Dann beschreiben Sie ihn!«
»Was gibt es da groß zu beschreiben? Es ist ein Ring mit zwei Schlüsseln, einer für die Haus-und einer für die Wohnungstür.«
»Und warum hatte er ihn in Boltenhagen?«
»Zur Sicherheit.«
»Er hatte einen Zweitschlüssel in Boltenhagen deponiert?«
»Genau.«
»Ihr Vater hat kein Auto?«
»Nein.«
»Also fährt er mit dem Bus zur Datsche?«
Oliver nickte, Tizian zog den Schüsselbund vom Brandort aus der Tasche.
»Schauen Sie!«, verlangte er. »Diese Schlüssel haben wir am Tatort gefunden. Es sind fünf, wie Sie sehen. Haustür, Wohnungstür und Keller von hier. Gartentor und Datsche in Boltenhagen. Nehmen wir an, Ihr Vater hätte diese Schlüssel verloren. Sie wollen allen Ernstes behaupten, dass er in einem solchen Fall mit dem Bus nach Boltenhagen gefahren wäre, nur um festzustellen, dass er an den Zweitschlüssel gar nicht herankommt? Sie reden sich um Kopf und Kragen.«
Kranbauer hatte sich klein gemacht, als hätte man auf ihn eingedroschen. Barbara sattelte drauf: »Warum räumt Ihr Vater nicht selbst auf?«
»Er kann nicht mehr so schwer tragen.«
»Jetzt reicht’s! Ihr Vater zieht zu Fuß oder auf dem Rad durch die Gegend, um nach Altertümern zu graben, er ist in der Lage, dabei Grabwerkzeuge und einen Tiefendetektor zu transportieren. Sie selbst sagen, dass er unverwüstlich wäre. Und plötzlich kann er nicht einmal mehr ein bisschen Müll entsorgen? Herr Kranbauer!« Barbara stand auf, er betrachtete das verblichene Muster des Teppichs. »Sie müssen mit uns kommen.«
***
Sie hatte die Augen nicht wieder geschlossen. Auf dem Weg in den Langen Steinschlag, wo sich das Polizeirevier und die Außenstelle des Kriminalkommissariats Wismar befanden, schaute sie sich sogar aufmerksam um und stellte fest, dass sie sich in einer ihr fremden Stadt befand. Grevesmühlen – das Wort schmeckte nach Malz. Früher hatte es immer nach Malz gerochen, aber die Malzfabrik war geschlossen und in ein Einkaufs-und Gewerbezentrum verwandelt worden.
Der Weg war nicht weit, und an manchen Ecken erinnerte sie sich an bestimmte Gebäude. Viele hatte man getüncht, was den Effekt hatte, dass die unsanierten Häuser besonders auffielen. Das kannte sie auch aus Rostock. Vor der Wende war alles grau gewesen, und nun war es bonbonfarben mit grauen Einsprengseln. Es war nicht schön, aber sauber, und einst poröse Fassaden waren glatt wie ein Babypopo. Man hatte die Häuser geliftet und ihnen Botox unters Dach gespritzt – der Vergleich gefiel Barbara ausnehmend gut, und unerwartet geriet sie in eine euphorische Stimmung.
Kranbauer überließ sie jetzt Tizian und Uplegger. Sie selbst stieg in den Keller des Reviers, wo etliche der Asservate vom Brandort vorläufig
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