Moerder Im Gespensterwald
der Vermisstenstelle versammelt waren. Außerdem hatten sich der Leiter der Kriminalpolizeiinspektion und ein Ärmelschoner vom Stab des Polizeipräsidenten eingefunden. Die Gäste setzten sich im Vorführ-und Besprechungsraum in die letzte Reihe, dann verlor der Mann ohne Eigenschaften ein paar Worte zur Bedeutung des Falles. Er hielt eine Ostsee-Zeitung in die Höhe. Natürlich hatten Journalisten Wind von dem Verbrechen bekommen, auch wenn sie seit der verspäteten Einführung digitaler Technik in MV den Polizeifunk nicht mehr abhören konnten. Barbara kniff die Augen zusammen, dann stieß sie Uplegger an, der neben ihr saß: »Was steht da?«
»Mehrfachmord im Nienhäger Holz. Die Unterzeile kann ich auch nicht erkennen.«
Da las der Mann ohne Eigenschaften bereits vor: »Vier schwedische Urlauber getötet. In BILD«, er erhöhte auch das Revolverblatt, »heißt es Killer im Gespensterwald. Schwedische Familie (40, 37, 10, 7) ermordet. Die Altersangaben stimmen nicht. Auch die Norddeutschen Neuesten Nachrichten bzw. die Schweriner Volkszeitung berichten. Ein Fernsehbeitrag im Nordmagazin ist für heute Abend angekündigt. Das vermisste Kind spielt noch keine Rolle, aber das wird sich bald ändern. Es wird überall der Zusammenhang zur Hanse Sail hergestellt, den unsere Stadt nicht gebrauchen kann. Zwei schwedische Großsegler nehmen in diesem Jahr teil, der Zweimastschoner Kvartsita und der Dreimaster Ingo . Ich hoffe, dass wir sie nicht unter Schutz stellen müssen, zumal an Bord der Kvartsita behinderte Jugendliche betreut werden. Und jetzt du, Manfred!«
Das Licht verlöschte. Spusi-Chef Pentzien benötigte zwei Leinwände für seine Ausführungen. Auf die linke ließ er eine Karte des Nienhäger Holzes werfen, die von der Forstverwaltung stammte und daher in Jagen eingeteilt war. Rechts lief ein Film, der vom Hubschrauber aus aufgenommen worden war: Baumkronen, die Siedlung mit dem Alten Forsthaus , die Ruine, das benachbarte Baufeld, Küste, Strand, die See. Auch Nienhagen hatte der Pilot überflogen. Pentzien kommentierte die Straßen, zeigte die Häuser der Familien Dünnfelder und Bach, deutete Karinas Weg an. Dann folgten Nahaufnahmen vom Tatort. Die Schranke kam ins Bild, der Waldweg, die erste Leiche. Die Äste und Stuhlbeine mit Haaren und Blut, der verlorene Turnschuh, weitere Tote. Tümpel, Bude, Waldrand, Windräder. Bänke, der Rastplatz, dann der Wagen der Baumzähler. Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können, wäre nicht Pentziens kühle und sonore Stimme gewesen. Absperrbänder flatterten in der Brise von See. Zwei Fahrräder waren zu sehen, gebräunte nackte Beine, Schlafanzughosen. Junge Gesichter.
»Stopp!«, rief Uplegger. Er war aufgesprungen.
Das Beamerbild erstarrte.
»Wer ist das?«
»Zwei Jugendliche, die vom Baden kamen. Sie wurden angehalten und zurückgeschickt, um einen anderen Weg zu nehmen.«
»Wurden ihre Personalien aufgenommen?«
»Leider nicht.«
»Wieso denn nicht?«
»Die Jungs haben sich zu schnell davongemacht.«
»Kann man die Standbilder herausziehen und …«
»Schon geschehen. Wir legen sie dem Tatortbefundbericht bei.«
»Ich hätte sie gern sofort.«
»Dann maile ich sie.« Der Film lief weiter und zeigte die Bereitschaftspolizei bei der Suche, dann zwei illegale Müllkippen. Beim Anblick des Tierfriedhofs ging ein Raunen durch den kleinen Saal.
»Ich habe beim Polizeihauptrevier Bad Doberan angerufen und von diesem Fund berichtet«, erklärte Pentzien. »Die Kollegen wollen die Augen offen halten. Ich verspreche mir Einiges von dem Lammkadaver, denn Schafe sind seltener als Hund, Katze und Kanin.«
»Danke, Manfred«, sagte der Mann ohne Eigenschaften .
»Dafür nicht, Gunnar. Dass ich eure Arbeit mache, ist ja nichts Neues.« Das Oberlicht wurde wieder eingeschaltet. Pentziens Mitarbeiter verteilten einige graugrüne Vorgangsmappen. Barbara nahm eine davon in Empfang, schlug sie auf und hielt sie so, dass Uplegger mit hineinschauen konnte.
»Wir haben schnell einen ersten Bericht getippt, damit ihr etwas in der Hand habt. Ich erläutere jetzt die Spurenlage. Nehmt meine Ausführungen wirklich nur als die allererste Auswertung. Ansatzweise können wir den Tatablauf rekonstruieren, aber erst, wenn wir alle Laborbefunde haben, gibt es den abschließenden Bericht. Das heißt, ihr müsst meine Worte mit Vorsicht genießen.« Pentzien räusperte sich. Seine beiden Mitarbeiter projizierten nun Fotos auf die Leinwände, die wegen der
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