Moerder Im Gespensterwald
Alkohol im Griff haben?«
»Absolut.«
»Und dass Sie jederzeit aufhören können, wenn Sie nur wollen?«
»In der Tat.« Auch Barbara lächelte. Die Frau verstand sie.
»Warum wollen Sie dann nicht?«
» Noch nicht. Ich sehe kein Problem. Aber wenn es zum Problem wird, höre ich natürlich auf.«
»Natürlich.« Das Lächeln bekam eine ironische Färbung. Barbara fiel eine neue Bezeichnung für ihr Gegenüber ein: Diplompsychose. »Wie viel trinken Sie denn täglich?«
»Verschieden.« Barbara zuckte mit den Schultern. Woher wusste die Diplompsychose , dass sie täglich trank? Das war nur durch die Verschwörung zu erklären. »Vier, fünf Bier und abends noch etwas zum Abschlaffen. Aber es kann auch weniger sein … oder ein bisschen mehr … je nachdem, wie mein Tag so ist.«
»Vier, fünf Bier plus Abendbier pro Tag?«
»Ja. Aber der Tag ist manchmal lang.«
»Und härtere Getränke?«
»Pf«, machte Barbara. »Kommt vor. Ein, zwei Flachmänner … selten mehr.« Dass sie sich allein zu Hause oft und immer häufiger bis zur Bewusstlosigkeit betrank, verschwieg sie.
Christiane Grünberg aber fragte: »Passiert es mitunter, dass Sie nach Feierabend die Kontrolle über das Trinken verlieren?«
»Kaum.« Bestimmt einmal in der Woche. Barbara schaute zum Poster.
»Trinken Sie allein oder besuchen Sie auch Gaststätten?«
»Ich habe eine Stammkneipe, da gehe ich ab und zu hin.«
»Wie oft?«
»Gott, ein paar Mal im Monat. Ich habe da gewohnt, jahrelang. Ist ganz nett da.«
»Das glaube ich. Wenn es nicht nett wäre, würden Sie nicht hingehen.« Die Diplompsychose schrieb wieder. Barbara hätte einiges gegeben, wenn sie die Notizen hätte lesen können. Doch was auch immer dort geschrieben stand, sie hatte keine Lust mehr, für weitere Aufzeichnungen zu sorgen. Sie hatte den Wunsch des Mannes ohne Eigenschaften erfüllt, und nun reichte es. »Was denken Sie, Frau Riedbiester, brauchen Sie Hilfe?«
»Ich?« Barbara glaubte, sich verhört zu haben. »Wieso sollte ich Hilfe brauchen?«
Die Diplompsychose hob die Achseln. »Erinnern Sie sich noch, wann sie zum letztem Mal einen anderen Menschen um Hilfe gebeten haben?«
»Klar.« Das war eine einfache, unverfängliche Frage. »Als ich umgezogen bin. Da haben mir Kollegen geholfen. Allein hätte ich das kaum geschafft.«
»Wann war das?«
»Vor vier Jahren, ungefähr.«
»Und seitdem?«
»Kann mich nicht erinnern.« Aus irgendeinem Grund peinlich berührt, schaute Barbara auf ihre Hände, die sie hasste: Sie waren dick, unförmig, Hände mit Wurstfingern. »Ich war schon früh selbständig. Meine Probleme löse ich allein.«
»Ich möchte gar nicht wissen, was Sie alles allein machen.« Die Grünberg stand auf, ging zu ihrem Schreibtisch, legte den Block auf einen Stapel Vorgangsmappen und kehrte mit einem Terminkalender zurück. »Wann sehen wir uns wieder?«
Barbara riss die Augen auf. »Wieso?«
»Das war nur ein erstes Gespräch zum Kennenlernen. Wir sollten uns unbedingt wieder treffen, finden Sie nicht?«
»Aber warum?«
»Weil Sie Alkoholikerin sind.«
Unerhört! Eine Frechheit! Reine Unterstellung! Barbara saß in ihrem Wagen auf dem Parkplatz des PP und stierte vor sich hin. Sie sah nichts. So wütend war sie.
Alkoholikerin! So ein Unsinn! Wenn jeder, der ein bisschen zu viel trank, Alkoholiker war, dann liefen praktisch nur Trinker herum.
Barbara hatte zum Glück vorgesorgt und noch einen Flachmann dabei. Er steckte im Handschuhfach, und sie befreite ihn aus seinem Gefängnis. Ob Beamte, die zu ihren Fahrzeugen gingen oder von ihnen kamen, sie sehen konnten, war ihr gleichgültig. Sollten sie denken, was sie wollten! Alkoholikerin! Ich werde euch was husten!
Sie trank die Flasche zur Hälfte aus. Beinahe augenblicklich wurde ihr warm in der Brust. Dieses wohlige Gefühl war es, das sie suchte. Es war angenehm, also warum sollte sie darauf verzichten?
Doch dann traf sie wie ein Blitz der eine Satz: »Ich möchte gar nicht wissen, was Sie alles allein machen.«
Alles! Ich mache alles allein! Und ich bin stolz darauf!
Nein, war sie nicht. Ganz und gar nicht. Und plötzlich kam ihr ein Bild, ein Bild für ihr Leben: Sie sah es als wohleingerichtetes Büro mit Aktenregalen, hinter denen sich das Chaos befand. Drei Wände wurden von Ordnern eingenommen, in die all das einsortiert war, was sie allein bewältigte, ein Regal an der vierten Wand enthielt Berichte über Ereignisse, bei denen sie anderen geholfen hatte, denn wenn man
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