Moerder Im Gespensterwald
zu widmen, denn dass ihr Mann Gynäkologe mit einer Praxis in Rostock war, führte zwangsläufig zu der Frage, ob Mareike Dünnfelder zu seinen Patientinnen zählte.
»Das weiß ich nicht«, erklärte sie. »Mein Mann wäre ein schlechter Arzt, wenn er über seine Patientinnen reden würde, oder? Ich glaube aber nicht.«
»Warum nicht?«
»Na ja, die Dünnfelders sind Nachbarn, das hätte ich wohl schon mitbekommen, wenn sie zu ihm geht. Am besten, Sie fragen ihn selber. Wobei, es gab da vor einiger Zeit etwas Komisches … Ali, geh mal einen Augenblick raus!«
Uplegger war überrascht, dass sie ihren Sohn bei seinem Spitznamen nannte. Der war nicht begeistert, hinausgeschickt zu werden, denn die Andeutung hatte natürlich auch seine Neugierde geweckt. Frau Albrecht musste sich wiederholen, dann erst schlurfte der Junge in der allbekannten Ich-bin-cool-Manier hinaus. Lutze begleitete ihn.
»Es war irgendwann im Frühjahr«, berichtete die Mutter. »Oder Ende des Winters? Ja, ich glaube, es lag sogar noch Schnee. Es war bereits dunkel, da wurde an unserer Gartenpforte Sturm geklingelt. Ich ging hin … Eine völlig aufgelöste Frau Dünnfelder stand vor mir. Ehrlich gesagt, im ersten Moment dachte ich, sie ist verrückt. Einfach durchgedreht. Sie wollte meinen Mann sprechen. Es sei dringend, etwas Schreckliches sei geschehen – so in etwa. Ich habe dann meinen Mann geholt. Sie wollte nur mit ihm reden, also gingen sie in die Küche und machten die Tür zu. Ungefähr eine Dreiviertelstunde dauerte das Gespräch. Ich habe ihre erregte Stimme gehört, weil sie gar nicht zu überhören war. Sie drang durch zwei Türen!«
»Damit wollen Sie zum Ausdruck bringen, dass Sie nicht gelauscht haben?«
Frau Albrecht bedachte Uplegger mit einem ärgerlichen Blick. »Was denken Sie denn von mir?«
»Dass Sie nicht gelauscht haben. Bitte fahren Sie fort.«
»Ich weiß nicht, was da los war. Aber hinterher war mein Mann total betrübt. Beim Abendessen bekam er keinen Bissen herunter.«
»Sie haben doch sicher gefragt …«
»Ja, das habe ich. Ich meine, er war ziemlich durcheinander. Er wollte erst nichts sagen …« Frau Albrecht zuckte zusammen, aber das verräterische erst war in der Welt, und Uplegger hatte es natürlich gehört. Er lächelte nur, und der Frau blieb nichts übrig, als ihm reinen Wein einzuschenken. »Also gut. Weil ich gesehen habe, wie er leidet, habe ich gemeint, er könne sich ruhig erleichtern, ich würde das ja kaum im Ort herumtragen.«
Uplegger schrieb schnell etwas auf, was sie zu irritieren schien, doch dann fuhr sie fort: »Es war so: Frau Dünnfelder hat behauptet, dass ihr Mann die kleine Tochter …«, ein kurzer Seufzer, begleitet von einem lüstern-schadenfrohen Glitzern in den Augen, »… dass er sie sexuell missbraucht. Ein schrecklicher Vorwurf, nicht wahr? Sie wollte wissen, ob mein Mann das Kind nicht untersuchen könne. Er hat ihr gesagt, dass dafür die Gerichtsmedizin zuständig wäre. Und er hat ihr dringend geraten, eine Anzeige zu machen.«
Uplegger sagte: »Die sie aber nicht gemacht hat.«
»Nein?«
»Nein. Und ich nehme an, dass Sie das wissen. Denn hätte sie ihren Mann angezeigt, hätte es eine polizeiliche Untersuchung gegeben, und das wäre in Nienhagen wohl kaum verborgen geblieben. Habe ich Recht?«
Frau Albrecht hob die Arme. »Gott, es wird zwar viel geklatscht, aber das heißt nicht … also ich meine, der Mann wäre doch zur Polizei nach Rostock bestellt worden …«
Uplegger klärte sie nicht darüber auf, dass Dünnfelder ganz sicher nicht nach Rostock vorgeladen worden wäre, sondern erst einmal zur Außenstelle Bad Doberan des KK Güstrow, denn solche Spitzfindigkeiten spielten keine Rolle. Wichtig war etwas anderes: »Da Sie Kenntnis von einer möglichen Straftat hatten, hätten auch Sie Anzeige erstatten können. Warum haben Sie das nicht gemacht?«
Frau Albrecht nahm sofort – für Uplegger keineswegs unerwartet – eine Abwehrhaltung ein, indem sie sich in eine sehr aufrechte Sitzposition rückte und die Beine aneinanderpresste. Die Hände legte sie auf die Oberschenkel, dann sagte sie: »Wir wussten doch gar nicht, ob die Frau überhaupt die Wahrheit sagte.«
»Aber sie war verstört!«
»Ja, aber sie benimmt sich auch sonst … wie soll ich mich ausdrücken? Seltsam, will ich es mal nennen. Stellen Sie sich vor, sie führt Selbstgespräche. Nicht auf der Straße, aber im Garten. Also auf ihrem Grundstück. Das ist doch nicht
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