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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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erst beruflich etablieren. Keine Ahnung, was er noch wollte. Die Fabrik in Güstrow übernehmen? Oder doch noch an dieses Institut, von dem er immer träumte? Institut für Ostseeforschung? Ich will jedenfalls nicht Schulleiterin werden! Einmal habe ich die Pille abgesetzt. Ich war dann so blöd, es ihm zu sagen …« Für einen Moment verstummte sie, knetete das Taschentuch. »Er war so wütend, dass er mir eine gescheuert hat. Er hat dann auf den Knien vor mir gelegen und um Verzeihung gebeten … Aber es war passiert, und ich konnte es nie vergessen.«
    »Er hat Sie ja auch tief verletzt.« Uplegger hatte wieder diese sanfte Stimme, und Barbara dachte, dass er, trotz seiner Aversion gegen das Metier, womöglich einen guten Psychologen abgeben würde, verständnisvoll und einfühlsam, wie er war oder sich gab. Nur mit der professionellen Distanz hätte er sicherlich Probleme.
    »Ich will Ihnen mal was sagen«, brach es aus Claudia hervor, »ich will weg aus dieser Stadt. Was gibt es denn hier schon an Kultur? Ein zehntklassiges Theater, das nicht mal mehr eine richtige Spielstätte hat, die ach so tolle Hanse Sail , wo man vor allem fressen und saufen kann, Musik für alte Leute hören und langweilige Schiffe sehen … und nicht einmal ein anständiges Museum. Hamburg dagegen! Oder Berlin! The city that never sleeps! Da ist wenigstens was los. Aber hier? Tote Hose.«
    »Obwohl Sie fortwollen, sind Sie umgezogen?«
    »Wollen und Können sind zwei Paar Schuhe. Ich komme nicht so schnell weg. Na ja, Sie bekommen es ja doch raus: Bei einer Klassenfahrt in den Herbstferien vor einem Jahr gab es ein Vorkommnis.«
    »Das haben wir schon ermittelt«, sagte Barbara. »Aber wir hören gern Ihre Version.«
    »Ein Kollege und ich waren mit Elftklässlern unterwegs, die dann ziemlich viel Alkohol konsumiert haben, und andere Drogen waren auch im Spiel. Kiff. In den oberen Klassen gibt es eine ganze Menge Schüler, die sich ab und zu oder auch öfter einen Joint genehmigen. Ich möchte sagen, das ist fast schon normal. Bei der Klassenfahrt kam es dann aber zu einem Unfall. Ein Schüler musste unbedingt aus dem Fenster klettern. Ich habe nichts davon mitbekommen …«
    »Wirklich nicht?«, fiel ihr Barbara ins Wort. »So etwas merkt man doch.«
    »Na ja, dass gekifft wird, wissen alle. Es wird ignoriert, solange niemand auffällig wird. Ist doch aber klar, dass die Schüler die Bierflaschen und das Cannabis vor uns versteckt haben. Trotzdem war ich dran. Eine Mutter hat ein Riesenspektakel veranstaltet, völlig unangemessen. Der Kollege, der fast die ganze Zeit betrunken war, wurde versetzt. Ich bekam einen Eintrag in die Personalakte. Und mit einem solchen Vermerk nimmt man mich nicht mal in den Kifferhochburgen Hamburg oder Berlin.«
    Hat der Schulrat doch mehr getan als Dankschreiben zu versenden, dachte Barbara, während Uplegger sagte: »Der Traum ist ausgeträumt.«
    »Alle meine Träume.« Claudia schlug nun sogar auf den Tisch, an dem der Physiklehrer seine Experimente zelebrierte. »Ich hätte früher weggehen sollen, aber Andrea wollte nicht. Der wollte in Rostock bleiben. Bloß nicht zu weit weg von den Eltern!«
    »Nicht mal von der herzlosen Mutter?«, fragte Barbara.
    »Sie verstehen nichts von Kindern. Er ist immer ein Junge geblieben. Alle Söhne der Medanauskas sind so. Wie richtige Italiener. Mama regiert.«
     
    Barbara hatte den Vorschlag gemacht, irgendwo auf der Doberaner Straße einen Imbiss einzunehmen, und Uplegger war einverstanden gewesen. Sie fanden einen Bäcker, der belegte Brötchen feilbot und Kaffee, leider kein Bier. Barbara nahm ein Schinkenbaguette und zwei Hackepeterbrötchen, Uplegger ließ es bei einem Rühreibrötchen bewenden.
    »Andriejus scheint ein bisschen verrückt gewesen zu sein«, sagte Uplegger, während er den Kaffee kritisch beäugte.
    »Ein bisschen ist gut.« Barbara schaute sich den Kaffee nicht nur an, sie testete ihn. Er war so dünn, dass man von gefärbtem Wasser sprechen konnte. »Der besessene Krieg gegen Rauch und seine Auftritte als Stalker, für mich sind das schon größere Macken. Werden Sie die Fußballfährte ad acta legen?«
    »Warum sollte ich?« Von Upleggers Brötchen fielen Rühreikrümel auf den Teller, die er mit spitzen Fingern aufnahm und in den Mund stopfte, was weder zu seinen Pianistenhänden noch zu seinem Ruf als Ästhet passte. »Ein in Italien aufgewachsener – oder auf Westdeutsch: sozialisierter – lettischer Hansa – Fan, das finde ich très

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