Mörder im Zug
alles zu sein. »Quasi schicksalhaft? Oder durch Gottes unerforschlichen Ratschluss? Oder haben Sie nicht vielmehr Claudia Brinkmann angemacht?«
»Sie mich.«
»Aha, ich verstehe, halb zog es Sie, halb sanken Sie hin. Kein schlechtes Gewissen?«
»Ja, doch.« Morten drückte seine Kippe aus und griff nach dem Tabak. »Claudia meinte eben, an meiner Seite eher eine Zukunft zu haben.«
»Ach, ist denn das Plattenauflegen so lukrativ? Einträglicher als der Job eines Produktionsleiters?«
»Ich mach noch was anderes als DJ.«
»Was sind Sie denn von Beruf?«
»Multitasking-Unternehmer.«
»Wie bitte?« Sollte das ein Witz sein? Allerdings kam es Uplegger vor, als sei Morten Kröner stolz auf seine selbstgestrickte Berufsbezeichnung.
»Ich mache viele Sachen gleichzeitig. Ich habe schon eine Zimmervermittlung, einen Begleitservice für Alleinreisende und eine Urlaubsbetreuung für Hunde betrieben. Aber jetzt habe ich die ultimative Geschäftsidee.« Er steckte die fertig gedrehte Zigarette in den Mund, zündete sie an, sog den Rauch ein und grimassierte – Multitasking eben. »Auf einem brachliegenden Acker meines Vaters werde ich einen Poloplatz einrichten. Mit Hotel, Pferdeboxen, Trainingsplatz und Kinderbetreuung. So etwas fehlt hier oben.«
»Deshalb also Polohof Kröner .« Uplegger unterdrückte ein skeptisches Kopfschütteln. Ganz gleich, ob der Film in Zeitlupe oder im Zeitraffer ablief, es war auf jeden Fall der falsche. »Haben Sie denn Kapital?«
»Man kann einen Kredit aufnehmen.«
»Also haben Sie wenigstens Sicherheiten?«
»Bauland im Erschließungsgebiet. Das ist eine Menge wert.«
»Und gehört …?«
»Vaddern. Bisher hat er meine Projekte immer unterstützt, aber momentan ist ihm das neue noch zu heavy. Er ist Landwirt, da denkt man nicht in großen Dimensionen.«
»Wenn man nicht in zu großen Dimensionen denkt, verzettelt man sich vielleicht auch nicht.« Uplegger stand kurz davor, an einem Hustenanfall zu ersticken. In seinem Hals kratzte es bereits. »Herr Kröner, Sie haben doch Abitur? Schon mal ans Studieren gedacht?«
»Hab sogar mal angefangen. BWL. Zu trocken für mich. Ich muss immer etwas machen, verstehen Sie? Ich bin ein Machertyp. Muddern war immer hinterher, dass ich nicht auf der faulen Haut liege. Eigentlich passt sie gar nicht zu Vadder, ich meine auf einen Bauernhof. Aber wo die Liebe hinfällt …«
»Warum passt sie nicht?«
»Sie ist Übersetzerin. Russisch, Polnisch, Dänisch und Schwedisch. Nach der Wende hat sie auch noch Koreanisch und Chinesisch gelernt, weil die exotischen Sprachen besser bezahlt werden. Sie hat eine gute Auftragslage.«
»Na, übersetzen kann man doch auf einem Bauernhof besonders gut, oder nicht? Es ist ruhig, und so abgeschieden ist Elmenhorst ja nicht. Wenn man mal was anderes sehen will. Ist Ihre Mutter stolz auf Sie?«
»Pfff.« Morten rauchte. Seine Augen tanzten Ballett. Allmählich übertrug sich seine Nervosität auf Uplegger. Dessen Handy kündigte den Empfang einer SMS an. »Eher enttäuscht im Augenblick. Sie meint, dass ich nichts auf die Reihe kriege. Na, sie wird schon sehen. Wenn der Polohof erst eine Goldgrube ist, gewinnt sie ihr Vertrauen in mich zurück. Und ich will ihr unbedingt etwas zurückgeben. Vadder hat sich immer nur um den Hof gekümmert, aber sie … Sie hat dafür gesorgt, dass ich mit fünf drei Instrumente beherrschte, mit zehn drei Fremdsprachen und …«
»… mit fünfzehn drei Sorten Psychopharmaka«, entfuhr es Uplegger, der die SMS von Barbara gelesen hatte. Die Hochleistungszucht, die manche Eltern ihren Kindern antaten, war ihm nicht geheuer, genauer noch, er verabscheute sie.
»Wie? Welche Psychodinger?« Morten geriet immer weiter aus dem Häuschen; wahrscheinlich zerplatzte er im nächsten Moment. Uplegger stand schnell auf und öffnete wenigstens einen Fensterflügel. Die Frau aus der Mansarde spähte schon wieder herüber, aber jetzt aus der Terrassentür. Schnee fiel mit majestätischer Würde in den Garten.
»Nehmen Sie Drogen?«
Morten prallte zurück. Die Angst in seinen Augen war übermächtig geworden, und ein Geständnis lag in der Luft.
Dass der Verkaufsraum von La Moda ein ähnlicher Schlauch war wie das Al Faro , hing mit der Form vieler Grundstücke in Warnemünde zusammen, die schmal waren, sich aber weit in die Tiefe streckten. Ein anheimelnder Duft von Äpfeln, Orangen und Tannennadeln überlagerte den Geruch nach Leder und Kleiderstoffen, ohne ihn ganz zu
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