Mörder Quote
des Senders verbunden war. Auf dem Konferenztisch, auf dem sonst fröhliche und poppige Fotos von realen oder möglichen Kandidaten ausgebreitet waren, lag jetzt eine dünne Akte in einem altmodischen Leitz-Ordner, den der zuständige Kommissar der Kölner Polizei dort hingelegt hatte. »Mordverdacht Castingshow« hatte jemand mit Eddingstift auf den Rücken gekritzelt. Und tatsächlich – genau darum ging es jetzt.
Der Kommissar, ein ruhig wirkender Mittdreißiger namens Heiko Köhler, hatte gerade noch einmal alle Fakten aufgezählt, die der Polizei bekannt waren. Sie hatten diskret schon seit Xenas Tod in Absprache mit dem Sender recherchiert, aber jetzt besonders scharf in den seit den frühen Morgenstunden andauernden Verhören aller Beteiligten ermittelt. Einiges war allen bekannt, anderes erschreckenderweise völlig neu. Dass bei einer erneuten Untersuchung von Xenas Unfall-Motorrad eine manipulierte Bremse gefunden worden war, die man vorher »übersehen« hatte, ließ sich Tanya in den Händen der Polizei nicht sicherer fühlen.
Die Leichen von Manfred Schmitz und Peter de Bruyn sollten noch ein zweites Mal obduziert werden, um die genaue Zusammensetzung der eingenommenen Drogen festzustellen. Und obwohl der Herzinfarkt beim Fotografen Olli Bräuer als Todesursache hundertprozentig feststand, wollte man auch da noch einmal die Leiche exhumieren und nach Spuren äußerlicher Gewaltanwendung suchen. Tanya war das egal, denn sie war sich inzwischen ganz sicher, dass – egal bei welcher Zusammensetzung der Drogen und ob Herzinfarkt oder nicht – diese Unfälle keine Unfälle gewesen waren. Sie selber überraschte die Polizei und vor allem ihre Mitjuroren, als sie nun öffentlich von dem Angriff auf der Jacht erzählte. Marco war besonders verdutzt, schien aber insgesamt fast mehr Angst um das Image seines Bootes zu haben als um Tanyas Unversehrtheit.
Zum ersten Mal, seit Tanya ihn kannte, schien der alte Haudegen Schiss zu haben. Er erwähnte die Worte »Personenschutz twentyfour seven« und »Durchleuchtungs-Schleusen an jedem Studioeingang« einmal zu oft, um als eiskalter Macho amerikanischen Stils rüberzukommen. Zu Pitterchen musste Tanya gar nicht hinsehen, schon bei ihrer Ankunft um elf Uhr morgens war das beliebte Kölner Original volltrunken gewesen und hatte immer nur in den Raum gerufen: »Ich habe zwar kein Alibi, aber ich war den janzen Abend zu Hause! Ehrlisch!«
Jetzt allerdings war der Stand der Dinge erst einmal ausreichend von Kommissar Köhler erläutert worden, und nun kam es zu jener Frage, die sich eigentlich die ganze Zeit als schwelende Hauptfrage hinter allen Vermutungen und der Beweisaufnahme versteckt hatte. Der Kommissar stellte sie trocken, merkwürdigerweise nicht an den Produzenten oder den Senderredakteur, sondern an Tanya, vielleicht, weil sie in all dem Wirrwarr bisher am ruhigsten gewirkt hatte.
»Wollen Sie denn mit der Sendung weitermachen? Wie haben Sie sich das vorgestellt?«
Tanya seufzte nur und wies mit einer Handbewegung in Richtung Marco, der wiederum auf Sender und Produktion schaute, die aber beide den Blick auffallend nach unten gesenkt hatten.
Jetzt wird wohl der Herdenführer die Herde führen müssen, dachte Tanya. Komm, Marco – spiel schon dein Spiel!
Und wirklich – nachdem »Deutschlands coolster Macho« von seinen eigentlichen Chefs keine Antwort auf die einfache Frage des Kommissars zu bekommen schien, fällte er alleine die Entscheidung: »Natürlich machen wir weiter«, sagte er. »Wir erhöhen die Sicherheit, bis das hier vor Knarren so voll ist wie das Weiße Haus nach 9/11! Wir lassen uns doch von so einem Scheiß-Psycho nicht in die Knie zwingen. Wir sind Deutschlands beliebteste und erfolgreichste Fernsehshow – nicht irgendein schwules Minderheitenprogramm auf Arte. Wir werden unseren Ruf verteidigen! Wir …«, und damit brachte er, genau wie Tanya es sich gedacht hatte, das ewige Totschlagargument, »wir schulden das unseren Kandidaten, die so hart gearbeitet haben, um bis hierherzukommen! Und wir schulden es den Toten!«
Tanya war nicht die Einzige, die bemerkte, wie der Produzent und der Senderredakteur wieder von ihren Notizen hochsahen, im höchsten Maß erleichtert, weil Super-Marco gerade natürlich unendlich viel Geld gerettet, ja vielleicht sogar geriert hatte.
Der Kommissar schaute Marco Deutz fast verblüfft an: »Aber Ihnen ist klar, dass Sie mit dieser Entscheidung unter Umständen weitere Menschenleben riskieren?«,
Weitere Kostenlose Bücher