Mörder Quote
Menschen, die es treffen könnte: ihn, Lilly, Chantal und Mike D. Obwohl: Wenn man die »Unfälle« von Mausi, de Bruyn und dem Fotografen jetzt auch anders interpretierte – der Polizist hatte sich dazu nicht festlegen wollen –, könnte es fast jeden in der Show treffen. Und das war das nächste Problem: Würde die TV -Show jetzt abgesagt werden? War das Risiko nicht zu hoch für alle Beteiligten? Oder würde er von nun an immer unter Personenschutz proben und auftreten?
Na ja, dann hätte er wenigstens die Chance auf einen gut aussehenden Bodyguard. Als sein Humor zurückkam, beschloss er, nicht länger in seinem Hotelzimmer herumzusitzen. Er musste mit jemand reden, am besten jemandem, dem es gerade ähnlich ging. Schnell hatte er Lillys Handynummer eingetippt, doch es sprang nur die Mailbox an. Auch Chantal, an die er danach dachte, war nicht zu erreichen – hier ertönte eine Viertelstunde lang nur das Besetztzeichen. Mike D kam nicht infrage – nicht einmal in höchster Not würde er irgendetwas Ernstes mit diesem Idioten besprechen. Schließlich entschloss sich Sascha, ins Studio zu fahren. Trotz des Sonntags würden wegen der besonderen Situation sicher Leute von der Produktion dort sein, und vielleicht könnte er Tanya Beck sprechen oder sogar Marco Deutz.
»Wir sind eine große Familie!«, hatte Marco immer gesagt, und das musste jetzt doch wohl erst recht gelten. Seine Showfamilie war Sascha jedenfalls im Moment wichtiger als seine echte Familie, die er eben schon in einem langen Telefonat so weit beruhigt hatte, wie es ging. Natürlich wollte seine Mutter, dass er die Show abbrechen sollte, aber natürlich würde er das nicht tun. Mephisto und Xena waren schließlich beide außerhalb des Studios »verunglückt«. Vielleicht war es in dem hellerleuchteten und mit Kameras bestückten Studio sogar am sichersten.
Während er sich schnell notstylte und ein passendes Outfit raussuchte – natürlich schwarz, aber nicht schon wieder der Anzug –, kam ihm plötzlich ein Bild vor Augen, das er schon fast vergessen hatte und das er auch der Polizei gegenüber nicht erwähnt hatte: Ganz klar sah er wieder die kleine Besuchertruppe vor sich, die vor drei Wochen die Studiotour gemacht hatte, während er oben am Fenster eine Art huldvoll winkende Evita geübt hatte. Und genauso klar sah er wieder Sebastians Gesicht vor sich, wie es sich unter Saschas Blick schnell unter der Kapuze wegduckte und mit der Gruppe um die Ecke verschwand. Was hatte Sebastian damals auf dem Studiogelände getan? Ein Ex-Kandidat besucht die Stätten seines Wirkens? Oder: Jemand kehrt zum Tatort zurück? Sascha durchzuckte es. Innerlich machte er sich eine Notiz, das gleich morgen der Polizei zu erzählen. Aber erst einmal musste er hier raus.
Als Sascha vor das Hotel trat, fiel die Meute der wartenden Fotografen über ihn her wie ein Schwarm Möwen über ein kleines Stück Toastbrot. Gott sei Dank war der Wagen gleich da, der ihn ins Studio bringen würde, aber als er sich durch die schreienden Paparazzi durchdrängelte, wurde ihm doch einen Moment lang mulmig zumute. Während er das Bad in der Medienmenge gestern noch genossen hatte, fühlte er sich jetzt auf einmal unbeschützt und angreifbar. Er versuchte bewusst zu erkennen, wer ihn bedrängte, und sich die Gesichter einzuprägen – warum auch immer. Einzelne Rufe drangen an sein Ohr. »Sascha, glaubst du, es gibt einen Castingshow-Mörder?« war darunter und »Willst du weiter in der Show bleiben?«. Er antwortete auf nichts, aber gerade bevor er die schützende Wagentür zuzog, kam noch eine Frage durch, die ihn den Rest des Tages nicht mehr losließ: »Sascha, Sascha – wer wird der Nächste sein? Hast du keine Angst?«
»Bitte ganz schnell ins Studio!« Sascha schob seine dunkle Sonnenbrille extra hoch auf die Nase und lehnte sich im Sitz zurück. Hatte er Angst? Ja, er hatte Angst.
Die Sondersitzung war kurzfristig anberaumt worden. Tanya war als eine der Letzten im Sitzungsraum des Studios eingetroffen. Sie schaute in die Runde und registrierte, dass die Stimmung ungewöhnlich für die Menschen war, die in und bei dieser Show arbeiteten. Es gab sonst Stress, es gab Zynismus, es gab auch Gelächter, und es gab Aggression – aber jetzt herrschte eine Art ruhiger Panik unter den Anwesenden. Neben den Jurymitgliedern und dem neuen Pressesprecher saßen der Produzent der Sendung, der Regisseur und der zuständige Redakteur des Senders, der über Standleitung mit dem Chef
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