Mörder Quote
trotzig »Staying Alive« ausgesucht und kämpfte nun vor dem Spiegel im Probensaal mit seinen John-Travolta-Moves, während Chantal, ganz die große Emotionale, sich zu Shirley Basseys »This is my life« hinreißen ließ. Beide hatten sich damit Lieder ausgesucht, die sogar das dümmste Publikum inhaltlich mit den Todesfällen verbinden würden, und molken so ungeniert den Tod ihrer ehemaligen Konkurrenten für Punkte.
Sascha hatte sich für Michael Jacksons »Man in the Mirror« entschieden, weil dieses Lied insgesamt nicht fröhlich, sondern merkwürdig inhaltsschwanger daherkam, und weil Michael Jackson ihm immer gut stand. Er übte schon seit Jahren eine perfekte Choreografie zu dem Song und würde sich durch Mike und Chantals Bauernschläue nicht aus dem Konzept bringen lassen. Lilly versuchte sich an »Don’t leave me this way«, was auch gut zu ihr passte. Der Song vermittelte ein trauriges Grundgefühl, und das war ihr wie auf den Leib geschrieben. Fakt war, dachte Sascha, während er zum hundertsten Mal einen Hut vom Kopf in die Hand rollen ließ, dass Lilly in der letzten Woche noch einmal zweihundert Prozent an Traurigkeit zugelegt hatte. War sie vorher schon immer still, aber süß gewesen, schien ihr seit letzter Woche etwas so Großes auf der Seele zu liegen, dass der zierliche Rahmen ihres Körpers fast darunter zu zerbrechen schien. Ihre Gesichtsfarbe hatte sich von »noblem Weiß« zu »totenblass« entwickelt, und nicht einmal die Farbeimer eines Mausi Schmitz hätten daraus Lebensfreude oder Frische zaubern können. Gott sei Dank wurde sie die ganze Nummer hindurch von den Tänzern nur gehoben und getragen, sodass sie trotz Discobeat nicht viel tanzen musste. Sascha bezweifelte, dass sie zu einem einfachen Sidestep die Kraft gehabt hätte.
Ein Polizist stand in der Tür hinter ihm, ein besonders attraktives Exemplar, wie Sascha fand, während er in einen figurbetonenden Stretch ging. Sein Gehirn – wenn es denn sein Gehirn war – funktionierte immer zweigleisig, und er hatte sich schon oft dabei erwischt, wie er selbst in den stressigsten oder sogar traurigsten Situationen an Sex dachte. Einmal hatte er sogar bei der Beerdigung einer alten Tante mit einem niedlichen Sargträger geflirtet und dessen Handynummer und später sein Bett erobert. Manchmal kam es Sascha so vor, als ob diese Koppelung sogar von der Natur so gewollt war und insgesamt zu einem Ausgleich der emotionalen Lage beisteuerte. Wenn alles im Leben in Balance bleiben sollte, warum nicht auch psychisches Leid und fleischliche Freud? Außerdem hatte er das Gefühl, dass der Polizist schon die ganze Zeit auffällig in seine Richtung starrte. Noch einmal streckte Sascha ganz nebenbei seinen Hintern raus – ein Körperteil, das ihm, und da war er sich ganz sicher, in dieser Show schon mehr Telefonanrufe gebracht hatte als seine ganze »Aquarius«-Nummer zusammen. Dabei warf er einen scheinbar gelangweilten Blick in die Richtung des Polizisten, doch der tippte gerade hektisch auf seinem Handy herum.
Wenn du Bilder von mir suchst, die besten gibt es nicht im Netz, dachte Sascha, doch der Anmachspruch war selbst ihm zu blöd. Noch einmal gab er dem Tonassi das Zeichen für den Start des Halb-Playbacks. Er könnte ja für diesen Durchlauf den Polizisten als »Mann im Spiegel« fixieren. Vielleicht würde das in dieser angespannten Atmo allen etwas bringen.
Ein lautes »Scheiße« riss Sascha aus seinen Gedanken. Er sah, wie Mike neben ihm sein weißes Showjackett zu Boden donnerte und wütend aus dem Saal stürmte. Der ihm zugeteilte Securitymann wollte ihm folgen, doch der niedliche Polizist hielt ihn auf und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann liefen sie gemeinsam hinter Mike her, und so konnte Sascha seinem Spiegel in Uniform nur hinterhersehen. Nun ja, dann eben doch nur wieder alles für die Karriere und ohne Sex. Machen wir halt mehr Merkel als Madonna. Sascha seufzte innerlich und sang jeden Michael-Jackson-Kiekser so perfekt wie das tote Idol.
Tanya hatte sich immer noch nicht entschieden, ob sie die Show verlassen sollte oder nicht, als sie am Freitagmorgen ins Polizeipräsidium zu einer erneuten Befragung fuhr. Die ganze Woche hatte sie die Pros und Cons gewälzt und war alle möglichen Schlagzeilen durchgegangen, vom hämischen »Frau verlässt das sinkende Showschiff« bis zu einer eher sympathisierenden »Tanya Beck in Todesangst«. Nils war immer noch nicht zu erreichen gewesen, in seiner Wohnung brannte nachts kein
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