Mörder Quote
eindeutig Selbstmord gewesen, und Tanya war sich nicht sicher, ob ihre nun fast täglichen Besuche im Revier wirklich notwenig waren oder ob der unscheinbare Herr Köhler etwas anderes mit ihr vorhatte. Heute, mitten im Waldlauf, bei Minute 22 und Puls 130, hatte sie es plötzlich verstanden – solange noch nachgewiesen werden musste, dass es tatsächlich Selbstmord war, solange die Laborberichte noch in Arbeit waren und sich eventuell doch ein Trittbrettfahrer zum neuen »Casting-Mord-Monster« aufschwingen wollte, wollte Herr Köhler sie einfach nur beschützen. Sei es durch tägliche Verhöre und/oder Sporteinheiten. Sie sah ihn von der Seite an, wie er sich konzentriert über das Steuer beugte und bei jeder gelben Ampel schon von Weitem abstoppte. Er transportierte offensichtlich eine wertvolle Fracht. Und dieses Gefühl tat Tanya für den Moment gut.
KAPITEL 34
Sascha saß auf seinem Bett in seinem Jugendzimmer und sah sich um. Er hatte sich von der Produktion einen Tag Heimaturlaub erbeten, statt zu Pitterchens Beerdigung zu gehen, und durfte nun endlich mal wieder in seinem eigenen Zimmer schlafen. Was heißt Zimmer – er hatte bisher eigentlich in einem Tempel für seine Pop-Idole gelebt, so überzogen war jede Oberfläche dieses Raumes von schimmernden Bildern und gerahmten Devotionalien.
Es war nicht nur irgendein Tempel, nein, ein Hindu-Tempel. Unter jedem Bild stand noch ein kleiner Altar, und auf diesem Altar wurde einer weiteren Göttin geopfert, sei es in Form einer CD -Special-Edition oder sogar eines Autogramms einer Göttin selber – das war der einzige Unterschied zu den echten Tempeln, die Götter schrieben dort seltener Autogramme.
Das ganze Zimmer strahlte eine kindliche, naive Freude an der bunten Popwelt aus, die ihm inzwischen fremd war. Seit er selber diese glitzernde Welt betreten hatte, seitdem er auf der anderen Seite war (neben ihm auf dem Bett lag das frisch gerahmte BRAVO -Cover mit allen Kandidaten von Music Star 3000 als Beweis), seitdem er auf der anderen Seite des Spiegels gelandet war, dachte er bei jedem Poster immer mehr an die Arbeit, die das Shooting den Star gekostet hatte, bei jeder Autogrammkarte an Haare, Make-up und müde Finger vom Unterschreiben. Er dachte jetzt an die praktische HERSTELLUNG von Pop, an die Proben, die Fabrik – und er dachte an die Opfer.
Auf seinem Schreibtisch stand eine Schuhschachtel, in der seine Mutter alle Zeitungsausschnitte gesammelt hatte, die seit Beginn der Sendung erschienen waren. Seine Mutter war Hobbyschneiderin und ging auch noch bei dem kleinsten Zeitungsausschnitt ihres Sohnes so akkurat ans Werk, wie sie es sonst beim Säumen oder dem Besticken von Spitzenkrägen war. Sie hatte sogar ein System eingebaut, dass man die Artikel der anderen Kandidaten auf einen Blick von denen ihres Sohnes unterscheiden konnte.
Sascha hatte die Ausschnitte fein säuberlich getrennt auf seinem Bett ausgebreitet. Mit Genugtuung sah er, wie einzelne ehemalige Konkurrenten und Konkurrentinnen nur auf ein winziges Häufchen von Berichterstattung gekommen waren – Stangentänzerin Ayleen zum Beispiel hatte es gerade mal mit einem kleinen Foto in die Testosteron-Ecke der Maxim geschafft und mit zweieinhalb Fotos in etwas, das Tattoo Girls hieß. Der »ehrliche Ossi« Uwe hatte natürlich vor seinem Nazigegröle mehrere Artikel in der SuperIllu abgeräumt und die damals noch glaubhafte Fatima einen absurden Artikel in Geo Special als »Gesicht der modernen muslimischen Frau«.
Sascha tat seine Mutter leid, die dieses ganze Sortiment beim Kiosk erstanden haben musste, inklusive Tattoo Girls . Dann fiel sein Blick auf den nächsten Stapel, und ihm wurde komisch eng in der Brust – der hübsche Sebastian war anscheinend wirklich auf dem Weg zum echten BRAVO -Boy gewesen. Er hatte in der immer noch klassischen Pop-Gazette eine große Homestory aufzuweisen (»Basti zeigt uns seine Bude«) und ein wirklich attraktives Shooting in einem Kölner Park (»Basti mag den Regen«), in dem seine süße Schüchternheit optimal flankiert wurde von einem karierten Regenschirm und Wassertropfen in seinen langen Wimpern. Aber während Sascha fast schon wieder ein bisschen dahinschmolz, fiel ihm jäh ihr Treffen ein und der angewiderte, ja hasserfüllte Gesichtsausdruck von Sebastian, als Sascha ihn berührt hatte. Dazu passte eher ein Artikel aus einer lokalen Gemeindezeitung, den seine Mutter wer weiß wo aufgetrieben hatte. Unter einem schlecht gedruckten
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