Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hermanns
Vom Netzwerk:
Mitjuroren – die Zustimmung oder Ablehnung des Publikums, wenn sie ein Urteil über einen Vortrag fällten. Denn darin lag ja die Kunst einer Castingjury, die Buhs oder Bravorufe so in die Urteilsverkündung mit einzubeziehen, dass es dramaturgisch Sinn machte, eine emotionale Beteiligung des Zuschauers zu Hause für oder gegen den Kandidaten oder sogar für oder gegen den Juror. Und heute erschien es Tanya so, als wenn Chantal, als sie von Tanya schlichtweg auf den Kopf zugesagt bekam, dass sie John Lennons Werk auf keiner Ebene gewachsen war, der Meinung der Jurorin einfach hätte widersprechen können. Und daraus hätte sich vielleicht sogar ein interessantes Gespräch über »Imagine« und John Lennon entwickeln können. Denn es fehlte heute das Geschrei der Massen, die Pointierung, die SHOW . Und so sagte selbst Chantal einfach ruhig »Ich sehe das nicht so« und ging dann ohne Applaus oder Buhrufe still wieder an ihren Platz.
    Auch Pitterchen schien ohne Publikum überhaupt nicht zu funktionieren. Er saß eingefallen da und war nur noch ein Schatten seiner selbst. Tanya hatte ihn sogar vor der Sendung ansprechen wollen auf seine gestrige behördliche Heimfahrt, hatte es dann aus Höflichkeit doch nicht getan. Wenn sie selber nach dieser Staffel ihr Leben neu ordnen würde, würde er es vielleicht auch tun. Jetzt mussten sie beide noch durchhalten.
    Und deswegen passte das sonst so dramatische Schlussurteil genau in diese Stimmung, nämlich ein juristischer Schrieb der Staatsanwaltschaft, dass Mike Ds Vorstrafen nun doch zu zahlreich waren, um ihn weiter auf freiem Fuß zu lassen, und er deshalb direkt vom Studio in die U-Haft müsse.
    Dieser Schrieb, der natürlich allen Jurymitgliedern kurz vor der Show bekannt gegeben worden war und als Ass am Schluss der Sendung gezogen wurde, hätte sicher bei vollem Haus zu Tumulten von aufgeschreckten Mike-D-Gangmitgliedern geführt. Mal ganz abgesehen von einem aufgebrachten Marco Deutz, der wild »der ist halt echt Street, der Typ ist echt der Hammer!« gebrüllt hätte. So wirkte das Ganze aber nur wie eine Formalie, wie ein Schreiben, das irgendein Mitglied der Produktionsfirma drei Sendungen vorher schon hätte zustellen sollen, es aber schlichtweg vergessen hatte.
    Mike D wurde ruhig abgeführt, die restlichen Kandidaten nahmen das Urteil ohne viel Emotion an, und als der Abspann gelaufen war, gingen alle Beteiligten fast lautlos in ihre Garderoben.
    Nur Lilly blieb einen Moment an der Stelle der Bühne stehen, an der eine Woche vorher ihre Mutter gestorben war. Tanya wollte gerade zu ihr hingehen, als Marco voll Wut neben ihr seine Zettel zusammenraffte und laut und ohne mit der Wimper zu zucken ins Studio zischte: »Also, so ganz ohne Action klappt die Show echt nicht!«
    Tanya hoffte, dass er nicht weitere Morde meinte.
    Später am Abend sah sich Tanya zu Hause die Sendung in der Spätwiederholung an. Das Ganze hatte wirklich mehr von einem absurden Theaterstück als von irgendeiner Form von Fernsehshow. Sie war sich sicher, dass die Quote wegen dieser Atmosphäre trotz der immensen Presse über Lilly und ihrer anrührenden Fassung von »Moon River« nicht gut genug gewesen war. Das Publikum würde in der nächsten Woche wieder ins Studio gelassen, so viel war jetzt schon sicher. Aber wenigstens war diese Woche nichts passiert. Lillys Mutter war tot, die Mörderin erkannt, und die Sendung konnte nun ihren ruhigen Endkurs auf die letzten zwei Shows nehmen. Tanya nahm eine Schlaftablette für ihre kaputten Nerven und legte sich erschöpft ins Bett.
    Sie träumte schwer und wild durcheinander. Bilder der letzten Showwochen (die Lilie im Licht, die davonrennende Roberta Helm im Studioflur) wechselten sich ab mit Bildern aus ihrem Privatleben (Nils’ todtrauriges Gesicht bei der Trennung, sie beide als Kriminalduo auf der Jagd nach Mephisto vor der Weinstube) und dumpfen Vorahnungen, die sich auf nichts begründeten. Deshalb hielt sie es erst für einen Teil ihres Traumes, als um halb vier ihr Telefon läutete und sie wieder einmal die Stimme der Produktionsassistentin durch den künstlichen Tiefschlaf hindurch vernahm, und erst sehr langsam die Worte begriff, die die junge Frau immer und immer wieder panisch wiederholte: »Tanya, Pitterchen ist tot.«

WOCHE 8:
    YESTERDAY
    Die 60er Jahre
    E-Mails an die Produktion nach der letzten Sendung, Auszüge:

KAPITEL 33
    Tanya schaute auf die Uhr und bemühte sich, genau in dem Rhythmus zu bleiben, den ihr ihr Puls

Weitere Kostenlose Bücher