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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hermanns
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Chaplin, zu denen auch noch das ganze Studio wie vorher geprobt aufstehen und betreten schauen musste. Tanya hatte Peter Kreymeier nie gemocht, aber diesen medialen Witz hatte nicht mal er verdient. Und selbst auf dem schwer weichgezeichneten Porträtfoto, das zum Schluss mit der Unterschrift »Unser Pitterchen (1957–2012) – im Himmel jibt et jetz Kölsch!« eingeblendet wurde, sah man immer noch hauptsächlich die dicklichen Backen und das verzweifelt übertriebene Lachen eines Alkoholikers, ein Lachen, das schon lange nicht mehr in den Augen ankam. So müde sah er aus, der Herr Kreymeier. Und so traurig.
    Nachdem dieser offizielle Teil vorbei war, verlief der Umschwung zur Show natürlich brachial und hemmungslos. Schnell vergessen war das Leid des alten Clowns, VIEL spannender und VIEL bedrückender war jetzt die Stimmung, in der sich nun die drei Endkandidaten der wichtigsten TV -Show DES UNIVERSUMS befanden! Während der Moderator zielstrebig jeden Funken Gefühl aus den drei Finalisten herausquetschte wie ein Großinquisitor in Feuerlaune, wanderte Tanyas Blick seitlich durchs Publikum. Auch dort war inzwischen alles beim Alten. Nach der Absurdität der leeren Stuhlreihen war nun wieder Brodeln angesagt. Die Fans der »drei wichtigsten Menschen der gesamten TV -Welt« (so der Moderator) waren genau so platziert worden, dass sie im Zweifelsfall übereinander herfallen könnten: die attraktivste Gruppe (Saschas Fans: junge Schwule und ihre hübschen Freundinnen und Mütter) natürlich ganz vorn, neben der freakigsten Gruppe (Chantals Fans, alles was Tattoos hatte, dick war, sich vom Leben benachteiligt fühlte oder beides). Die eher braven Fans von Lilly (Mädchen ab zwölf, gerade der My-Favourite-Pony-Welt entkommen) saßen hinter der Jury und gaben Tanya heute ein gutes, frisch gewaschenes und sicheres Rückengefühl.
    Apropos Sicherheit – alle Zuschauer waren durch die von Marco eingeführten Durchleuchtungsschleusen ins Studio gelassen und durchgecheckt worden wie am Flughafen. Tote Frau Helm hin oder her – diese TV -Show war »Die Show mit dem Todesfluch« ( BILD von heute), und deshalb waren auch überall noch Securityleute, die die Kamera ab und zu in Großaufnahme zeigte. »Für das kleine Horrorgefühl zwischendurch«, wie der Regisseur Tanya zugegrinst hatte. Horror hatte sie eher davor gehabt, Nils bei der Arbeit im Studio zu begegnen. Aber er hatte den ganzen Tag professionell geprobt und war für den Abend sogar als Kabelhilfe eingeteilt worden. Das hieß, dass sie zwar ab und zu in die Kamera schauen musste, unter der er kauerte, aber nicht zu ihm hin. Das würde sie schaffen.
    Sascha konzentrierte sich ein letztes Mal, während sein Einspielfilm lief, in dem noch einmal alle seine Höhen und Tiefen in der Show gezeigt wurden. (Seine »Reise«, sagte der Moderator, als ob Sascha auf einen spirituellen Weg gegangen wäre und nicht nur Woche für Woche sportliche Höchstleistung erbracht hätte). Wichtig war in diesem Moment immer, sich auf keinen Fall von den Stimmungen in diesen Filmchen aus der Ruhe bringen zu lassen. Oft war die erste Note des Songs am schwierigsten, und wenn man die verkackte, war die ganze »Reise«-Berichterstattung null und nichtig. Dann war man nur noch das Opfer für endlose »Schon der erste Ton war schief«-Gags der Jury und im Internet. Also gar nicht hinhören, lieber ganz nach innen gehen, an den Song und dessen Botschaft denken. »I want to hold your hand« von den Beatles, in einer ganz langsamen Akustikversion nur mit Gitarre, irgendwo zwischen James Blunt und Michael Bubblé. »Ich will deine Hand halten.« Schon die ganze Woche hatte er sich gefragt, wem er dieses Lied innerlich widmen sollte, damit er es wirklich gut »verkaufen« könnte. Irgendwie war das ein komisches Wort für eine gute Liedinterpretation, ging es ihm durch den Kopf. Verkaufen. Du musst den Song verkaufen können, you got to sell it … Immer wieder waren es diese Formulierungen, die zwar irgendwo stimmten, aber so wenig mit dem zu tun hatten, was er selbst fühlte, wenn er ein Lied gut sang.
    Sicher – er musste technisch bereit sein, musste sich warm gesungen haben –, aber am wichtigsten war, dass er mental das vor sich sah, was im Liedtext formuliert wurde. Nur dann war er wirklich gut.
    Bis jetzt hatte er bei dem Lied an seine Mutter gedacht, an einen Exfreund, ja sogar an Paul McCartney, wie er das Lied heute vielleicht John Lennon widmen würde. Aber kein Adressat hatte ihm

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