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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hermanns
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Schwarz-Weiß-Foto, das Sebastian vor einem Kreuz zeigte, stand ein ganzes Interview mit ihm unter der Überschrift »Gläubiger Christ wagt sich ins Fernsehgeschäft«.
    Sascha musste über den besorgten Ton des Artikels lächeln, der so tat, als ob der Minigladiator Basti in der Arena der bösen TV -Imperatoren von Medienlöwen zerfetzt werden könnte, aber ein Blick auf den Xena-Stapel ließ sein Lächeln wieder verschwinden. Wenn Xena sich nie bei dieser Sendung angemeldet hätte, wäre sie noch am Leben, das stand fest.
    Sascha nahm sich den nächsten Stapel auf seinem Bett vor. Es war der höchste von allen und leider nicht seiner. Eindeutig am meisten Presse hatte Lilly bekommen, und zwar nicht erst durch die Tragödie mit ihrer Mutter. Schon in den Wochen davor war sie quer durch den gesamten Blätterwald gewandert, von BILD zur Bunten , von der FAZ zur Süddeutschen Zeitung . Irgendetwas an ihr inspirierte anscheinend auch die seriösen Journalisten über 40, wahrscheinlich eine Art Lolita-Komplex, dem Sascha natürlich nichts entgegensetzen konnte. Während er einfach als der typische schwule Popfan charakterisiert wurde (zwar ohne Zweifel talentiert, aber vielleicht ein bisschen zu »glatt«), bekam Lillys Talent mühelos Attribute wie »pur«, »glaubhaft«, ja, sogar »originär«. Ein besonders verliebter Feuilleton-Schreiber ließ sich sogar zu der Formulierung hinreißen: »Lilly Helm ist ein lang ersehntes seelenvolles Lächeln in der grotesk künstlichen Welt des deutschen Castingshow-Wahns.«
    Sascha seufzte tief. Als Gegenpol war selbst der Stapel der Egoshooterin Chantal größer als sein eigener – sie bediente zwar fast ausschließlich die Springer-Presse, aber die wenigstens täglich. »Chantals sexy Popo-Show« oder »Chantal – mein Silikon-Traum ist Doppel D!« hatten es immer auf die erste Seite geschafft, und allein die Gerüchte über ihr eventuelles Playboy-Shooting (»Ich werde das erste Transgender-Centerfold!«) waren als News quer durch alle deutschen Publikationen gegangen.
    Mit einer Handbewegung wischte Sascha die Ausschnitte vom Tisch und warf sich aufs Bett. Wieder mal stieg dumpfer Jähzorn in ihm hoch. Wie ein kleiner Junge schlug er mit den Fäusten gegen sein Kissen und konnte Tränen der Wut nicht unterdrücken. Er musste sich wirklich etwas einfallen lassen, wenn er die beiden schlagen wollte. Und eines war klar: Er musste sie schlagen!

KAPITEL 35
    Während die drei Finalisten einmarschierten, sah Tanya aus dem Augenwinkel hinüber zum Pressechef, der für das verstorbene Pitterchen nun am Jurypult Platz genommen hatte. Wieder einmal war es für die Producer der Show schwierig gewesen, die Pietät für das verstorbene ehemalige Mitglied des Triumvirats mit den Anforderungen einer hoffentlich quotenstarken Megashow auszubalancieren. So hatte man allen Teilnehmern und Jurymitgliedern zwar empfohlen, sich angemessen zu kleiden, aber beim Motto »Sixties« kam man natürlich um den ein oder anderen Minirock (Chantal) oder eine ulkige Afroperücke (Marco) nicht herum. Tanya hatte sich zu einem schlichten weißen Kaftan entschieden, der zwar an der Seite genug geschlitzt war, um wenn erforderlich Bein zu zeigen, aber sonst viel mehr verdeckte als sonst. Und so wollte sie sich heute auch fühlen – verhüllt. Den Neuling im Bild aus Wien hatte die Stylingabteilung natürlich in den obligaten Beatles-Anzug gequetscht (immerhin in Schwarz) mit dem dazugehörigen Beatles-Topfschnitt, der aus jedem tendenziell runden Gesicht einen Pfannkuchen machte. Und so saßen sie jetzt da – ein dicker, aufgeregter Beatle, der Jimi Hendrix vom Ballermann und die weiße Frau – und begrüßten Kandidaten und Publikum – natürlich mit einem herzerwärmenden Tribut an das »Pitterchen«.
    Ein TV -Tribut eine Woche nach einem Selbstmord war immer schwierig, aber ein emotionaler Tribut an einen volkstümlichen Komiker war fast nicht machbar. Es fehlten einfach die »normalen« sensiblen Bilder im Herbstlicht oder mit körnig-niveauvollem Schwarz-Weiß-Effekt – alles, was man im Archiv auf die Schnelle gefunden hatte, waren tausendmal wiederholte Catchphrases (»Isch kann ni mi!«), tausend schrille Outfits mit bunten Krawatten und Schachbrettmuster-Schlipsen und einen Zusammenschnitt seiner schönsten »Hinfallaktionen« beim Warm-up. Und so sah Tanya fassungslos auf mehrere Zeitlupen-Wiederholungen eines fallenden Pitterchens, montiert zu dem unerträglichen Song »Smile« von Charlie

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