Mörder Quote
vorschrieb. Seit einer Dreiviertelstunde trabte sie nun rund um den See und hoffte, dass die Luft und das zarte Vorfühlings-grün des Laubwaldes ihr guttun und ihre wirren Gedanken und fast hysterischen Zustände der letzten Tage beruhigen würden. Sie betrachtete aus den Augenwinkeln den Mann, der neben ihr lief. Sein Atem ging ruhig, er wirkte keine Sekunde angestrengt. Sie wunderte sich immer noch, dass sie das Angebot von Kommissar Köhler wirklich angenommen hatte, mit ihm täglich »eine kleine Runde« um den Hürther See zu machen. Obwohl – eigentlich müsste sie sich das Wundern wirklich abgewöhnt haben. Seit sie am Montagmorgen nach einer schlaflosen Nacht gleich wieder direkt ins Polizeipräsidium abgeholt worden war, um alles auszusagen, was sie über die Seelenzustände ihres Jurykollegen wusste, befand sie sich emotional im freien Fall. Plötzliche Müdigkeit wechselte sich ab mit hysterischer Albernheit, und die Unterschiede zwischen der Kargheit des Polizeipräsidiums, in das sie am Dienstag und Mittwoch noch zweimal zurückkehren musste und der Kargheit ihrer Garderobe im Studio, in der sie auf die Wechsel im Probenplan und Neuigkeiten jeder Art wartete, waren für sie völlig fließend: In beiden Locations gab es schlechten Kaffee, schlechte Luft, und man musste immer auf das Schlimmste vorbereitet sein. Warum also nicht mit dem freundlichen Fragensteller joggen gehen? So hatte sie wenigstens jemanden an ihrer Seite, dem sie vertraute.
Eine Viertelstunde später hatten sie beide ihr Pensum erfüllt und stretchten nun ihre müden Beine an gefällten Baumstämmen.
»Ich bewundere wirklich Ihre Fitness!« Der Polizeibeamte lächelte ihr aufmunternd zu.
»Das brauch ich für den Job«, gab sie kurzatmig zurück. »Wer keine Ausdauer hat, kann in meinem Metier einpacken.«
Kaum hatte sie ihren Satz beendet, musste Tanya schlucken. Jeder kleine Satz über das Showbusiness im Allgemeinen schien in den letzten Tagen direkt auf Pitterchens Schicksal hinzuweisen, der nun, leider aus Gründen der Pietät, endlich öfter mit seinem richtigen Namen, Peter Kreymeier, in der Presse genannt wurde. Sein Selbstmord am Sonntagabend war vom Boulevard zur klassischen Showbiz-Tragödie hochstilisiert worden, eine Kölner Version der großen toten Weltstars, bei der trotzdem neben jedem seriösen Foto des »beliebten Komikers« immer ein weiteres abgedruckt wurde, auf dem er aufgedunsen und schwer betrunken in eine zu nahe Kamera glotzte. Meistens war dieses Foto größer als das andere. Daneben die immer gleichen Listen von Schulden, Arzthonoraren und verzechten Gagen und die genaue Zusammensetzung seines letzten »Drinks« – hier nur die einfachen deutschen Schlaftabletten aufgelöst in Wodka, statt der komplizierten Drogencocktails der internationalen Stars. Tanya musste fast stündlich an das nächtliche Bild von Peter Kreymeier denken, krakeelend auf der Bahre der Sanitäter, aber immer noch umringt von schief lächelnden Kölner Kellnern, die das »Unikum« zur Tür des Brauhauses begleiteten.
»Typisch Pitterchen«, hatte einer der Kellner noch gesagt. Und – »Aber der kann dat vertragen«. Nun war der Alptraum jedes Bühnenkünstlers passiert – man war in der erlernten Rolle unter Applaus des umstehenden Publikums verreckt, und alle dachten, jedes letzte Zucken und Wälzen gehöre dazu. »Typisch Pitterchen« – vielleicht hatte dieser letzte Kommentar den privaten Peter sogar dazu gebracht, unter sein letztes Getränk die Schlaftabletten zu mixen. Was tut man nur, wenn man nicht mehr die Rolle sein will, die das Publikum einem gegeben hat?
»Lassen Sie uns fahren, mir wird kalt!«, bat Tanya Herrn Köhler, und sie gingen schnell zum Auto.
In den vielen Verhören dieser Woche war es selbstredend immer wieder um die Frage gegangen, ob Peter sich selbst das tödliche Getränk verabreicht hatte oder nicht. Auch die Presse war zuerst natürlich groß auf »einen weiteren Fall in der Serie der Casting-Morde« eingestiegen, aber dieses Mal hatte wirklich kein anderer Täter etwas damit zu tun als Peter Kreymeier selbst. Türen und Fenster waren abgeschlossen gewesen, die Rezepte für die Tabletten seit Jahren gebunkert und der Abschiedsbrief zweifellos echt. Echt und sehr knapp – in einem kurzen » FUCK YOU , LIFE !« hatte das Pitterchen sich noch ein letztes Mal so geäußert, wie er es wohl selber fühlte, und nicht wie sein Image der tollpatschigen männlichen Ulknudel es von ihm verlangte. Es war
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