Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mörder und Marder

Mörder und Marder

Titel: Mörder und Marder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
tieferliegenden linken Mundwinkel hatte sich geronnenes Blut gesammelt, allerdings nicht viel. Beide Augen waren aufgerissen. Der rechte Arm lag neben dem Körper, der linke über dem Bauch. Die Hände waren zu Fäusten geballt.
    »Sehr ansehnliches Bild. Beschreib mir mal das Fenster, Henry!«
    Hoff sah Baltasar an wie einen entlaufenen Geisteskranken. »Häh?«
    Matzbach wiederholte die Aufforderung; Henry holte tief Luft, ergab sich und beschrieb das Fenster. »Die Fensterbank ist leer. Beide Flügel stehen offen und ragen ins Zimmer. Der Rahmen könnte mal wieder gestrichen werden, und die Vorhänge gehören verbrannt. Jenseits des Fensters erstreckt sich der verschneite Garten; im Bildhintergrund sehen Sie weiße Krokusse, die aus der Nähe betrachtet Nadelbäume sein könnten. Frag mich nicht, welche. Nach unten und an den Seiten wird das Gemälde von Fensterbank beziehungsweise Rahmen begrenzt. Oben desgleichen; allerdings zieht sich dort noch die Kante der Dachrinne durchs Bild. Die Traufe ist aus blauem Blech. Reicht das?«
    Matzbach nickte freundlich. »Ganz richtig, mein Lieber. Und? Fällt dir nichts auf?«
    Hoff ächzte. »Was soll mir auffallen? Willst du wieder sokratische Fragespiele mit mir machen? Matzbach wendet die Mäeutik auf ein Stilleben mit verschneitem Garten an, aber keine Erkenntnis schlüpft. Bäh.«
    Baltasar grinste und wandte sich an Heinrich Genenger. »Kommen Sie doch mal rein. Sie haben vermutlich in Ihrem Beruf schon mal eine Leiche gesehen.«
    Genenger schob sich ins Zimmer und trat vorsichtig neben das Bett. Er bemühte sich, auf keines der verstreuten Objekte zu treten.
    Matzbach deutete auf die Leiche. »Könnten Sie sagen, woran er gestorben ist?«
    Genenger beugte sich über Schuster. »Entweder hat er sich gegen jemand gewehrt, so verkrampft wie er daliegt. Oder er hat einen Herzanfall erlitten oder so was ähnliches und sich in der Agonie verkrampft.«
    Matzbach faßte die Leiche an den Füßen und deutete mit dem Kopf auf die Schultern. »Sanft anheben.«
    Genenger gehorchte; Hoff verschränkte die Arme wie eine Schutzwehr vor der Brust, bog den Oberkörper zurück und sah zu.
    »Sehen Sie irgendwas?« sagte Matzbach.
    Genenger schüttelte den Kopf; sie legten Schuster wieder zurück. »Ich bin kein Arzt«, sagte der Privatbestatter. »Vielleicht kommt bei einer Obduktion was heraus. Aber so oberflächlich ist nichts zu sehen. Kein Schlag, kein Stich, kein Bluterguß, nichts.«
    Hoff trat einen Schritt zurück, um nicht hintenüber zu fallen. Sein verbogener Körper hatte Probleme mit dem Schwerpunkt. »Ja, aber wenn keine Wunden oder so zu sehen sind, dann ist Gaspard vielleicht doch einfach so gestorben, oder? Herzschlag wegen Alkoholvergiftung? Aber was ist mit dem Blut im Mundwinkel?«
    Genenger runzelte die Stirn und zog Schusters Unterlippe herab. »Das ist nicht viel Blut. An der Unterlippe sind Bißspuren. Wahrscheinlich hat er sich im Todeskampf auf die Lippe gebissen. Es hat ein bißchen geblutet, und weil der Kopf schiefliegt, ist alles in den Winkel geflossen. Aber es ist nicht viel. Tja. Tja. Tja. Das sieht mir nun doch nach einem natürlichen Tod aus.«
    Baltasar grinste immer noch. »Und wie erklären Sie sich die ganzen verstreuten Gegenstände? Die umgeworfene Kommode? Die Decke am Fenster?«
    Genenger schob die Unterlippe vor. »Was weiß ich? Wenn er sich in der Agonie so verkrampft hat, dann hat er vielleicht noch mal gezappelt und um sich geschlagen?«
    »Und dieser ganze Kram«, sagte Henry halblaut, »kann ihm gehört haben. Vielleicht lag alles auf der Kommode. Er war ja nicht nur ein Schmutzfink, sondern auch ein Chaot.«
    Genenger ging zurück zur Tür und lehnte sich an den Rahmen. Er schien Juckreiz zu verspüren, zwischen den Schulterblättern, denn er rieb sich an der Holzkante.
    Matzbach starrte auf seine Skizze, auf die Liste der Gegenstände, auf den Toten, auf den Boden, zum Fenster.
    Hoff sah ihn von der Seite an. »Na, weißt du schon was? Du Superdetektiv?«
    »Ich weiß was. Wer der Mörder ist, zum Beispiel. Das ist doch völlig offensichtlich.«
    Genenger grunzte. Hoff riß die Augen auf. »Wer ist denn der Mörder?«
    Baltasar grinste. »Du vielleicht, Henry?«
    Hoff streckte ihm die Zunge heraus. Genenger grunzte abermals; es klang amüsiert. »Können Sie wirklich aus diesem Chaos etwas machen, Matzbach?«
    Baltasar schraubte den Füller zu, steckte die Skizze ein und seufzte. »Es ist das Los der Großen, von kleinen Dummen

Weitere Kostenlose Bücher