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Mörder und Marder

Mörder und Marder

Titel: Mörder und Marder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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tun, sonst heißt es noch, ich hätte gehext. Henry, sieh dir Arthurs Kopf an.«
    Melcher hob die Hände; Jorinde ergriff seine Handgelenke und hielt sie fest. Henry stand auf und beugte sich über den sitzenden Melcher. Er streckte die Hand aus und nahm ein zerrissenes Spinnennetz von dem dunklen Schopf; es schillerte rötlich.
    »Du bist also unten gewesen«, sagte Jorinde. »Zwischen eins und jetzt. Dieser magische Beweis Nummer drei ist gleichzeitig ein relevantes weltliches Indiz. Ich bin fertig, Herr Vorsitzender.« Sie trat Baltasar auf die Zehen.
    Der Dicke blickte Henry an, der mit seinem Spinnennetz ein wenig albern aussah. Dann schaute er auf Melcher.
    Dieser erwiderte den Blick. »Na schön«, sagte er. »War ich eben unten. Vor anderthalb Stunden. Ich hab mir aus dem Kaminzimmer noch ein Kissen für mein Bett geholt.« Er grinste. »Sie können nachsehen. Matzbach. Es liegt wirklich in meinem Bett.«
    Baltasar winkte ab. »Was immer in Ihrem Bett liegen mag, ficht mich nicht an. Ich bin ein diskreter Mensch.« Er kniete vor Melcher nieder und streckte die Hand nach dessen Knien aus.
    Melcher schob Matzbachs Hand weg. »Was soll das?«
    Matzbach warf Genenger einen hilfesuchenden Blick zu.
    Der kräftige Bestatter verließ die Tischkante und kam zu ihm.
    »Ich wüßte gern«, sagte Baltasar, »ob der Pyjama irgendwo naß ist.«
    »Komm, mach keinen Zirkus, Arthur«, sagte Genenger. »Hose runter.« Er packte seinen alten Kommilitonen an der Schulter.
    »Was soll das mit der nassen Hose?« sagte Susanne verblüfft.
    Matzbach überlegte einen Moment; dann stand er auf und gab Genenger einen Wink. »Hat noch zwei Minuten Zeit. Zuerst etwas anderes. Man kann die Eiszapfen mit einem Stock von den Traufen schlagen. Wenn man aber einen bestimmten haben möchte, etwa, um ihn jemandem in die Augenhöhle zu schubsen, dann muß man den Zapfen schon nach alter Art mit hurtiger Hand pflücken. Sonst bricht er nur und fällt sich kaputt. Einverstanden?«
    Niemand widersprach.
    »Na schön. Nun habe ich nach meiner Ankunft Durst verspürt, bin in meinem Zimmer auf die Fensterbank geklettert und habe einen Zapfen abgebrochen, mich an ihm lutschend zu laben. Dabei habe ich gefunden, daß ich mich ganz lang machen mußte, um an die Traufe zu kommen.«
    Henry blickte zum Fenster und nickte. »Aha.«
    »Eben«, sagte Baltasar. »Ich bin einsneunzig. Henry ist ein bißchen länger. Evita ist, pardon Madame, relativ klein. Susanne höchstens einsfünfundsiebzig?«
    Die Portraitrice schüttelte den Kopf. »Vierundsiebzig.«
    »Und Adelheid«, fuhr Baltasar fort, »dürfte ebenso wie Jorinde an die einsachtzig sein.«
    Frau Koslowski nickte.
    »Heinrich, Sie sind ungefähr so groß wie Susanne, nicht wahr?«
    Genenger nickte ebenfalls.
    »Und Sie, Arthur, sind so groß wie Henry und ich. Wenn ich also den Zapfen nur mühsam erwischen konnte, obwohl ich einsneunzig lang bin; wenn ich annehme, daß die Entfernungen zwischen Fenstersimsen und Traufe überall ungefähr gleich sind, dann bleiben nur Sie, Henry und ich als mögliche Täter übrig. Keiner von den anderen ist groß genug, und keiner hat Arme wie ein Gorilla. Wir können das morgen früh noch praktisch testen, aber außer uns dreien dürfte niemand auf der Fensterbank stehen und die Traufe berühren können.«
    Melcher starrte ihn an; in seinem Gesicht standen plötzlich Fragen und Zweifel.
    »Ein dummer Fehler, nebenbei.« Baltasar rümpfte die Nase. »Sie haben sich außerordentliche Mühe mit dem Mord gegeben und Phantasie aufgewendet, dafür, tja, ich gebe es zu, Respekt. Aber Sie haben eine Ihnen selbstverständliche Tatsache für unwichtig gehalten. Sie machen sich keine Gedanken darüber, daß Sie einsneunzig sind. Deshalb haben Sie nicht daran gedacht, daß außer Ihnen, Henry und mir keiner Eiszapfen von der Traufe pflücken kann.«
    Melcher schwieg. Genengers Hände lagen auf seinen Schultern und wogen schwer.
    Matzbach ging zum Fenster und beugte sich tief, um den unteren Rahmen betrachten zu können. Dann warf er einen Blick auf den mondbeschienenen Garten. »So ungefähr hab ich’s mir gedacht. Sie haben Schneeballen, die beim Bau der Schneemänner nicht verwendet worden sind, aufgetürmt und sind zu meinem Fenster hochgeklettert. Ich hatte das Fenster angelehnt gelassen.« Er deutete auf den unteren Rahmen; Susanne kam und sah. Sie pfiff leise.
    »Wir haben im Zusammenhang mit dem Ballon schon die Spielzeugkiste erwähnt, im Lagerraum«, sagte Baltasar.

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