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Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Titel: Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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war. Denn die Gutachter konnten keinen chemischen Nachweis für das Mordgift Aconitin erbringen. Williams wusste aber auch, dass zwanzig Jahre zuvor der Verteidiger des Digitalismörders Pommerais gescheitert war, als er versuchte, den physiologischen Nachweis am Froschherzen lächerlich zu machen. Er musste einen andern Weg gehen, um die Glaubwürdigkeit der Toxikologen zu erschüttern.
    Dafür brauchte er, wie die Anklage, ebenfalls einen Toxikologen. Das war der Londoner Professor Tildy.
    Williams suchte Tildy auf und schilderte ihm den Sachverhalt. Professor, fragte er dann, lassen sich diese Beweise widerlegen?
    Tildy hatte aufmerksam zugehört. Nun, erwiderte er, da wisse er vielleicht Rat. Nicht jeder in der Praxis tätige Wissenschaftler verfolge ständig die neuesten Forschungen auf seinem Fachgebiet, sondern verlasse sich oft genug auf die eigene Erfahrung und Routine. Tildy brüstete sich, über alle neuen toxikologischen Entdeckungen informiert zu sein, vor allem über die, die im Ausland gemacht und veröffentlicht wurden. Wenn wir Glück haben, fuhr Tildy fort, so seien den Gutachtern der Anklage die Schriften des italienischen Chemieprofessors Selmi entgangen. Die darin geschilderte Entdeckung könnte für den Lamson-Prozess entscheidende Bedeutung haben.
    Und Tildy berichtete dem Anwalt über die Experimente Selmis und anderer Chemiker, die das ganze bisherige Wissen über giftige Pflanzenalkaloide in Frage stellten. Sie hatten entdeckt, dass nicht nur alkalische Extrakte, die aus den Organen Vergifteter gewonnen worden waren, in Verbindung mit verschiedenen Säuren einen für das jeweilige Gift charakteristischen Farbniederschlag ergaben, nein, solche Reaktionen hatten sie auch an Leichen gefunden, die niemals vergiftet worden waren! Denn bei der Zersetzung der Leiche entstünden bestimmte alkalische Substanzen, die bei entsprechenden Reagenzien eine Farbreaktion zeigten, die dem Niederschlag giftiger Pflanzenalkaloide zum Verwechseln ähnlich sei.
    Selmi habe als Sachverständiger in mehreren italienischen Giftmordprozessen nachgewiesen, dass des Giftmordes Verdächtigte unschuldig waren. Die angeblichen giftigen Pflanzenalkaloide, die in den Leichen nachgewiesen worden waren, seien in Wirklichkeit »Leichenalkaloide« gewesen. Genau an diesem Punkt, so Schloss Tildy, könne die Verteidigung einhaken: Was die Gutachter der Anklage als tödliches Aconitin benannt hätten, könne ein in der Leiche entstandenes animalisches, ein »Leichenalkaloid« sein.
    Williams war begeistert. Nun konnte er Dr. Stevensons Giftnachweis völlig in Frage stellen. Trotzdem schläferte die augenblickliche Euphorie seinen Verstand nicht ein.
    Und es sei unmöglich, das »Leichenalkaloid« vom pflanzlichen zu unterscheiden? fragte er vorsichtshalber.
    Tildy lächelte fein. Für den Laien sei es praktisch unmöglich. Die Farbreaktionen wären einander oft sehr ähnlich.
    Williams hörte die Einschränkung mit Unbehagen. Also nur Laien könnten den Unterschied nicht erkennen?
    Die Geschworenen seien doch Laien, sagte Tildy, und auf die komme es doch an. Die feinen Unterschiede könne nur das geübte Auge des Toxikologen feststellen. Selmi habe darüber berichtet. Dafür sei beispielsweise das Pellagri-Reagenz - dazu gehöre u. a. rauchende Salzsäure und konzentrierte Schwefelsäure - wohl geeignet. Sonst hätte Selmi nicht nachweisen können, dass der vermutete Giftmord kein Giftmord gewesen sei. Aber auf diese feinen Unterschiede hinzuweisen, sei ja doch wohl nicht die Sache des Anwalts. Er solle nur die Beweiskraft seines Gegners erschüttern.
    Williams bereitete sich gründlich auf den Prozess vor. Er wusste, es würde nicht leicht sein, die Kompetenz eines so erfahrenen Toxikologen in Zweifel zu ziehen.
    Und das gelang ihm dann auch mit Bravour.
    Als er Prof. Stevenson ins Kreuzverhör nahm, stellte er zu seiner Genugtuung bald fest, dass sein Ratgeber Prof. Tildy den Sachverständigen der Anklage richtig beurteilt hatte. Stevenson kannte Selmis Schrift nicht, die Forschungen über »Leichenalkaloide« waren ihm unbekannt. Zwar hatte er schon davon gehört, konnte aber mangels eigener Erfahrung selbst keine Meinung dazu äußern. Er stehe dieser Entdeckung sehr skeptisch gegenüber.
    Ein solcher Ausgang des Kreuzverhörs lieferte Williams die besten Argumente für sein Plädoyer, das zwei Tage dauerte. Er wies dabei auf die täuschende Ähnlichkeit der Farbreaktionen bei pflanzlichen und animalischen Alkaloiden hin,

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