Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
schien ihm vor allem im Winter unzureichend. Deshalb schaffte er sich zusätzlich ein Heizgerät an, das mit Katalyt, einem Leichtbenzin, betrieben wurde. Müller pflegte das Katalytöfchen vor dem Fahrersitz direkt unter seinen Beinen aufzustellen.
Am 16. Februar 1954 fuhr Müller, dessen Praxis sich in einem Dorf bei Kaiserslautern befand, in die Stadt und kaufte 8 kg loses Katalyt. Der Verkäufer fragte, warum er nicht die verplombten Spezialkanister für Katalyt nehme. Müller erwiderte, die seien ihm zu teuer. In der Garage füllte er das Katalyt in einen großen Kanister um, der 20 Liter fasste.
Am nächsten Tag kaufte er erneut 4 kg Katalyt, das er ebenfalls in den großen Kanister goss. Am Abend dieses Tages erfuhr er, dass seine Mutter gestorben war. Er begab sich dorthin, um die Begräbnisformalitäten zu regeln. Danach schickte er seiner Geliebten Tilly, die zur Zeit in England wohnte, ein Telegramm. Darin teilte er ihr den Tod seiner Mutter mit.
Auf der Rückfahrt versuchte er an mehreren Tankstellen Katalyt zu kaufen, bekam aber keins. Die Tankstellen hielten das Katalyt zurück, weil in den nächsten Tagen eine Preissteigerung für Leichtbenzin zu erwarten war. Daraufhin kaufte Müller im gleichen Geschäft wie an den Tagen zuvor 8 kg loses Katalyt.
Da an einem der Kanister der Schraubverschluss fehlte, gab ihm der Verkäufer einen Korken zum Verschließen und prüfte selbst, ob er auch dicht saß. Das Katalyt aus den beiden 4-kgKanistern füllte Müller nicht in den großen Kanister in der Garage um. Er beließ die zwei Kanister im Wagen. Der mit dem Kork verschlossene Kanister stand rechts vorn vor dem Beifahrersitz, der andere hinten auf dem Rücksitz. Unter dem Fahrersitz lag stets eine mit einem Glasstöpsel verschließbare Apothekerflasche. Sie war immer mit drei Litern Katalyt gefüllt. Aus dieser Flasche goss Müller das Katalyt in den Heizofen.
An diesem Abend sprach Müller zu Hause erneut davon, ein Dienstmädchen einzustellen. Frau Müller war seit Jahren kränklich; in letzter Zeit litt sie unter Kreislaufstörungen. Aber sie hatte sich bisher nicht entschließen können, ein Dienstmädchen zu nehmen. Heute wiederholte Müller seinen Vorschlag und forderte seine Frau auf, mit ihm zu fahren, um mit Hilfe ihrer Bekannten eine geeignete Person zu finden.
Es war ein kalter Winterabend. Die Straßen waren vereist.
Frau Müller hatte wenig Lust mitzufahren, willigte dann aber doch ein. Die Eheleute zogen sich warm an, er einen Lodenmantel, sie ein pelzbesetztes Winterkostüm. Von besonderer Bedeutung sollte es werden, dass Frau Müller außer dem Ehering einen Schmuckring trug, den Müller ihr ein Jahr zuvor geschenkt hatte.
Im Borgward, der zusätzlich mit dem Katalytöfchen beheizt wurde, fuhren sie zuerst zum Drehentaler Hof. Hier wohnte eine Frau, die früher als Haushaltshilfe bei Müllers beschäftigt gewesen war. Man kam überein, dass sich ihre Tochter am nächsten Sonntag bei Müllers vorstellen sollte. Dann begaben sich die Müllers wieder zu ihrem Wagen. Die ehemalige Haushaltshilfe hörte noch, wie sie sich dabei heftig stritten.
Gegen halb neun erschienen die Müllers bei einer Bekannten in Potzbach und fragten auch dort nach einem Dienstmädchen. Das Gespräch verlief ergebnislos. Müller sagte beim Abschied, sie würden jetzt wieder heimfahren.
Doch eine halbe Stunde später trafen Müllers bei einer weiteren Familie ein. Es waren Patienten von ihm. Man unterhielt sich eine Weile in der Küche. Von einem Dienstmädchen war nicht die Rede. Aus dem nahe gelegenen Birotshof ließ Müller einige Flaschen Bier holen, die etwa gegen halb zehn geleert waren. Nun wollte Müller gleich nach Hause fahren.
Gegen dreiviertel zehn verließ das Ehepaar die Familie, die die Besucher bis zum Wagen begleitete. Frau Müller setzte sich auf den Beifahrersitz, hatte aber Schwierigkeiten beim Einsteigen, weil sich einer der Katalytkanister vor dem Sitz befand. Merkwürdigerweise drang sie nicht darauf, den Kanister nach hinten oder in den Kofferraum zu stellen.
Die Kälte hatte sich inzwischen verschärft. Manchmal trat der Vollmond aus den Wolken. Die Straße war voller Schlaglöcher und stark vereist. Müller fuhr langsam. Nach wenigen hundert Metern bog der Wagen von der Hauptstraße
in einen Waldweg ein.
Gegen 22.15 Uhr kam der Musiklehrer Martin an der Waldgaststätte Birotshof vorbei. Er hatte Akkordeonunterricht gegeben und fuhr auf dem Fahrrad heim. Plötzlich hörte er einen Mann
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