Mörderische Aussichten
Ungerührt fuhr sie mit ihrer Lektüre fort.
Von ihr war keine Hilfe zu erwarten. Ich spähte die gesamte Ladenfront aus, blickte in jeden Seitengang. KeineSunshine. Genauer gesagt sah ich überhaupt keine Frau. Ein paar Männer durchstöberten Kisten mit Werkzeugen, seltsam aussehenden
Rohren und Armaturen. Ein einzelner Herr zählte Nägel in eine kleine Papiertüte ab. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Haben
Sie eine junge Frau in einem pinkfarbenen Kleid vorbeikommen sehen?«
Er blickte mich stirnrunzelnd an. »Siebenundsechzig, achtundsechzig.«
Nun gut. Ich eilte durch den Gang zum hinteren Teil des Ladens und stellte zu meiner Bestürzung fest, dass von dort aus ein
Hinterausgang zu einem Parkplatz führte. An diesem Ausgang war eine zweite Kasse, an der sich ein Angestellter und ein Kunde
unterhielten.
»Haben Sie eine junge Frau in einem pinkfarbenen Kleid gesehen?«, fragte ich.
Der Angestellte deutete mit der Angelrute, über die sie gerade redeten, auf die Tür.
Verdammt. Ich rannte hinaus, um gerade noch einen kleinen Lieferwagen rückwärts aus einer Parklücke biegen zu sehen. Die Fahrerin
hatte blondes Haar.
»Warte«, schrie ich. Aber der Wagen fuhr davon und fädelte sich in den Verkehr der Twentieth Street ein.
»Wo ist sie?« Mary Alice kam aus der Eisenwarenhandlung gerannt.
»Sie ist in einem Lieferwagen davongebraust, bevor ich sie zu fassen bekommen habe.«
»Bist du sicher, dass es Sunshine war?«
Ich nickte. »Sie hatte sogar das pinkfarbene Sommerkleid an.«
»Und du weißt ganz bestimmt, dass es Sunshine war?«
»Verdammt, Schwesterherz, es
war
Sunshine.« Der Asphalt des Parkplatzes klebte vor Hitze. Mein Sprinthatte die Sache auch nicht besser gemacht. »Lass uns irgendwohin gehen, wo es kühl ist.«
»Ich konnte nicht einmal mehr mein Kleid anprobieren«, sagte Schwesterherz.
»Pech gehabt«, brummte ich. Wir gingen zurück durch den Eisenwarenladen und traten auf die Straße hinaus.
»Angenommen«, meinte Schwesterherz, als wir wieder vor dem Big Bold and Beautiful Shop standen, »es war wirklich Sunshine...«
»Nimm es einfach an, verdammt.«
»Aus welcher Richtung kam sie denn?«
Ich zeigte nach links.
»Dann war sie« – Schwesterherz schirmte ihre Augen mit einer Hand ab – »in einem Blumenladen, einem Antiquitätengeschäft,
einem Secondhandladen oder einem Drugstore.«
»Sieht ganz danach aus.«
»Warum klapperst du dann nicht, während ich meine Kleider anprobiere, diese Läden ab und schaust, ob du herausfinden kannst,
was sie dort gemacht hat?«
Ich war drauf und dran zu sagen: »Mach es doch selbst«, als Schwesterherz hinzufügte: »Falls du dir wirklich sicher bist,
dass es Sunshine war.«
»Ich muss zuerst ein Glas Wasser trinken«, sagte ich.
»Barmherziger Himmel!« Katrinka kam mir entgegen, als ich die Tür zur Boutique öffnete. »Sie sind ja rot wie eine Tomate rund
um den grünen Hubbel an Ihrem Kopf.«
»Danke, Katrinka.« Ich nahm das Glas mit Eiswasser entgegen, das sie mir anbot, und stürzte es hinunter.
»Sie sollten es nicht so schnell trinken, wenn Ihnen heiß ist. Mein Opa hat das getan und ist tot umgefallen.«
Ich nahm ein Stück Eis aus dem Glas und hielt es an meine Stirn. »Ich werde es mir merken.«
»Er kam vom Pflügen herein, trank drei Gläser Eiswasser und fiel um.« Katrinka neigte sich zur Seite. »Mir nichts, dir nichts.«
Sie neigte sich noch weiter zur Seite und senkte die Stimme. »Tot. Er war etwa in Ihrem Alter.«
»Katrinka, komm her, Mädchen«, rief Bonnie Blue zum Glück. »Bring mir diese grüne Seidenjacke. In vierundfünfzig.«
»Ja, Ma’am.« Katrinka warf mir einen taxierenden Blick zu, entschied dann aber, dass ich nicht die Nummer ihres Großvaters
abziehen würde, zumindestens nicht in diesem Moment, und ging die Seidenjacke holen. Das Eis gegen meine Stirn gepresst, trat
ich vor die Boutique und blickte auf die Geschäfte auf der anderen Seite. Warum nicht mit dem Drugstore an der Ecke anfangen?
Dieses Mal überquerte ich die Straße an der Ampel, und Katrinkas Beschreibung meines Gesichtes und das Schicksal ihres Großvaters
vor Augen, ging ich langsam.
»Nein«, sagte der Kassierer im Drugstore. »Ich würde mich an jemanden erinnern, der wie eine Barbiepuppe in einem pinkfarbenen
Kleid aussieht. Fragen Sie unseren Apotheker. Vielleicht hat sie bei ihm ein Rezept eingelöst.«
»Nein, Ma’am«, beantwortete dieser meine Frage. »Aber ich habe ein paar
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