Moerderische Familienbande
den Schaden beheben.“ Sie zog ein weiteres Buch heran. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, Mrs. Hollowell.“
Ich stand auf, ging an einen anderen Tisch, um dann noch einmal kehrtzumachen. „Ich hätte da noch eine Frage“, sagte ich und kam mir vor wie Inspektor Columbo: „Sie glauben also wirklich nicht, dass Megs Tod in irgendeiner Form Selbstmord gewesen sein könnte?“
Camille kniff ihre grünen Augen zusammen. „Ich hoffe es nicht. Jemand hat dieses Vergnügen verdient.“
Nun, ich hatte gefragt und meine Antwort erhalten. Ich ging wieder an den anderen Tisch und schlug mein Notizbuch auf. Noah Hollowell, Winona Hughes Hollowell. Es machte mir Spaß, über sie zu lesen und zu verfolgen, was sie aus ihrem Leben gemacht hatten, aber die obsessive Leidenschaft, die Camille Atchison gerade an den Tag gelegt hatte, war für mich nicht nachvollziehbar. „Eine mörderische Welt“, klangen Meg Bryans Worte in mir nach.
Ich machte mich an die Arbeit. In Sterbelisten aus den Zeitungen von Montgomery zu Zeiten des Bürgerkrieges fand ich sowohl einen Oscar Hollowell als auch einen James und einen Bernard Hallowell. Oscar war bei Antietam gefallen. James und Bernard waren bei einem Streit unter Nachbarn ums Leben gekommen. Derartige Fehden schienen, wenn man die Zahl der aus diesem Grund Verstorbenen heranzog, zur damaligen Zeit ziemlich üblich
gewesen zu sein. Ihr Name wurde zwar mir „a“ statt mit „o“ geschrieben, aber ich entschied, sie zu notieren.
„Finden Sie, was Sie suchen, Mrs. Hollowell?“ Cassie Murphy stand in einem korallenfarbenen Strickkleid neben mir, das ihr nicht nur eine blühende Farbe verlieh, sondern auch jede ihrer Kurven unterstrich. Und Cassie war, man konnte es nicht anders sagen, „erwachsen“ geworden.
„Sie sehen atemberaubend aus heute“, sagte ich.
„Danke.“ Weiße, gleichmäßige Zähne blitzten. „Kann ich Ihnen bei irgendetwas behilflich sein?“
Ich zeigte auf die Hallowells. „Sie schreiben sich anders“, sagte ich. „Aber nicht sehr.“
„Bei einer so ähnlichen Schreibweise ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie, wenn Sie eine oder zwei Generationen zurückgehen, einen gemeinsamen Vorfahren finden.“
„Das ist faszinierend. Es heißt, die beiden Männer seien in einem Nachbarschaftszwist ums Leben gekommen, nicht im Bürgerkrieg.“
„Damals herrschte aufgrund von politischen Auseinandersetzungen ein hohes Maß an Gewalt. Vielleicht sympathisierten sie mit den Unionisten oder waren hinter Leuten her, die mit diesen sympathisierten.“
„Und wir halten die Gewalt für eine Erscheinung der Moderne.“
„Nicht, wenn Sie sich mit Geschichte befassen.“ Cassie winkte einem Mann an einem Nachbartisch zu, der ihr ein Zeichen gegeben hatte. „Das ist einer unserer Klienten. Ich werde gleich mal fragen was er will.“
„Ich habe Georgiana Peach diese Woche kennen gelernt. Wie ich Ihrer Karte entnommen habe, arbeiten Sie für sie.“
„Georgiana ist eine ganz Liebe. Aber sie ist heute krank, und die Dinge, die aufgrund ihrer Reise nach Charleston liegen geblieben sind, hat sie auch noch nicht abgearbeitet.
Und die Kollegin, die halbtags bei uns arbeitet, musste ganz plötzlich fort, um sich um ein krankes Familienmitglied zu kümmern. Weshalb ich in alle Richtungen rotiere.“
„Ich hoffe, Georgiana fehlt nichts Ernstliches.“ Cassie schüttelte den Kopf. „Bestimmt nur ein Virus.“ Das war Aids auch, aber darauf wollte ich jetzt nicht hinweisen. Ich kehrte zu den Namensverzeichnissen zurück, in denen ich soeben entdeckt hatte, dass Oscar Hollowells Frau eine Novalene Täte war. Fred und ich waren vielleicht über zwanzig Ecken verwandt, falls Novalene die Schwester meines Ururgroßvaters war. Im Süden zählt das. Ich machte mir eine Notiz, dass ich Novalene nachschlagen wollte. Mit einem Namen wie diesem dürfte sie nicht so schwer zu finden sein.
Nach einer Weile setzten bei mir Kopfschmerzen ein, und ich schloss die Bevölkerungsregister von Montgomery County aus dem Jahre 1850 und streckte mich. Ich blickte auf meine Uhr und stellte verblüfft fest, dass es bereits halb vier war. Ein Blick durch den Raum zeigte mir, dass die meisten der Leute, die schon hier gewesen waren, als ich kam, nach wie vor emsig bei der Arbeit waren. Ein zäher Haufen. Camille Atchison, stellte ich fest, war entweder gegangen oder aus meinem Blickfeld verschwunden.
Cassie war ebenfalls nicht zu sehen und vielleicht zum
Weitere Kostenlose Bücher