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Mörderische Harzreise (German Edition)

Mörderische Harzreise (German Edition)

Titel: Mörderische Harzreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Exner
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Seine ganze Betätigung bestand darin, Zeitung zu lesen und zu nörgeln. Jede Neuerung, die sein Sohn einführen wollte, wurde im Keim erstickt. Seiner Schwiegertochter gab er immer wieder zu verstehen, dass seine verstorbene Frau den Laden viel besser im Griff gehabt hatte. Und nun konnte er sich auch noch über die lasche Erziehung des Adoptivsohnes auslassen.
    Hans entwickelte zwar kein gutes Verhältnis zu Stefan, aber er schlug ihn nicht, wie das damals in den sechziger Jahren weit verbreitet gewesen war. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm das nicht zustand, weil Stefan eigentlich gar nicht sein eigenes Kind war. Brigitte gab dem Jungen vielleicht mal einen Klaps, wenn er etwas Dummes angestellt hatte oder sie sein Verhalten nicht nachvollziehen konnte. Insgesamt war die Atmosphäre im Hause Anselmann recht kühl. Die Arbeit stand immer im Mittelpunkt. Sie dominierte den Tagesablauf und auch das Verhältnis unter den Familienmitgliedern. Was Wärme und Geborgenheit bedeuten, erfuhr der kleine Stefan in diesen Jahren kaum.
    Eines Tages, als Hans unterwegs war, um einige Gaststätten zu beliefern und seine Frau im Laden alle Hände voll zu tun hatte, schlich Stefan sich in die Schlachterei. Er hatte schon öfters zugesehen, wie sein Vater und der Geselle Wurst machten. Das war eine sehr spannende Sache. Das wollte er jetzt auch machen. Also stellte er den elektrischen Fleischwolf an und warf alle möglichen Fleischstücke hinein. Am anderen Ende kam der Brei heraus. Der musste nun gewürzt und gemischt werden. Also nahm er aus den verschiedenen Eimern ein paar Hände voll Gewürze, streute alles hinein und walkte mit seinen kleinen Armen in dem Brei herum. Das machte ihm ungeheuren Spaß. Und der Vater würde bestimmt froh sein, dass er ihm so fleißig geholfen hatte. Da ging die Tür auf, und der Großvater kam herein. Stefan drehte sich um, ohne die Arme aus dem Trog zu nehmen und strahlte ihn an. Er erwartete ein dickes Lob von ihm. Stattdessen packte der Großvater ihm am Genick und zog ihn weg. Das tat verdammt weh. Draußen im Innenhof setzte sich der Großvater auf seinen Stuhl, legte den Jungen übers Knie, zog ihm die Hose herunter und fing an zu singen:
    »Wer nur den lieben langen Tag ohne Plag, ohne Arbeit vertändelt, wer das mag, der gehört nicht zu uns. Wir stehn des Morgens zeitig auf…«
    Dazu ließ er seine flache Hand bei jedem zweiten Takt kräftig auf das Hinterteil des Jungen klatschen. Er sang die ganze lange Strophe bis zu Ende. Dann sang er noch eine Strophe. Stefan konnte die Schmerzen nicht mehr aushalten. Schließlich entleerte er seine Blase auf der Hose des Großvaters, der ihn sich dann unter den Arm klemmte und in den Keller trug. Dort ließ er ihn allein zurück. Als die Mutter ihn Stunden später fand, hatte er vor lauter Weinen und Schreien keine Stimme mehr.

Lautenthal, Clausthal-Zellerfeld, Braunlage

     
    Ferdinand hatte inzwischen natürlich mit Lilly telefoniert und ihr von seinem mexikanischen Überraschungsbesuch berichtet. Sie fiel aus allen Wolken und ließ ihrerseits die Buschtrommeln erklingen. Sie berichtete ihrem Großneffen Amadeus am Telefon davon.
    »Und wenn ich Tim und Yvonne morgen zu Hause abliefere, werde ich bei Ferdinand vorbeifahren und mir den Mann mal ansehen.«
    »Tante Lilly, du bist neugierig.«
    »Ja, natürlich. Es passiert doch sonst nichts.«
    »Tante Lilly, bei dir passiert ständig etwas. Mal gehst du auf Verbrecherjagd, mal fliegst du ganz spontan nach Australien. Oder du wirfst jemanden in den Springbrunnen. Bei dir passiert so viel, dass es allmählich über meinen Verstand geht.«
    »Seit wann haben Juristen Verstand?«
     
    Am nächsten Nachmittag brachte Lilly die Sauschläger-Kinder wieder nach Hause. Rita und Hannes konnten sich gar nicht beruhigen und lobten Paris in den höchsten Tönen.
    »Und wie ist dir der Flug bekommen, Hannes?«, wollte Lilly wissen.
    »Wenn ich gewusst hätt, wie geil das is, wär ich all viel früher gefloon.«
    Besonders gut hatte Hannes der „Schripties im Kresie Horss“ gefallen. Und Rita war ganz hin und weg von den vielen Boutiquen und hat kräftig zugeschlagen.
    »Bloß mit dieser albern Sprach simma net zurechte gekomme. Die spinne ja, wie kammann denn so sprachen?«, meinte Rita.
    Sie hatten Lilly auch etwas mitgebracht. Eine Karikatur von sich und Hannes, gezeichnet von einem Straßenkünstler auf dem Mont Martre. Lilly freute sich riesig. Und sie war voll des Lobes über die Kinder, die sie

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