Mörderische Harzreise (German Edition)
Großvater geschlagen wurde, blieb für lange Zeit ein einmaliger Vorfall. Sein Adoptivvater hatte ihm auf Drängen seiner Frau gesagt, dass er das nicht wünschte. Der hatte ihm zwar geantwortet, dass ihm das egal sei und ihn als Weichei bezeichnet, aber es passierte lange Zeit nichts mehr. Stefan kam in die Schule und blühte auf. Endlich musste er nicht mehr in dem Zimmer neben dem Schlachterladen seine Tage zubringen. Er wurde zunehmend selbstständig und durfte nun auch nachmittags draußen mit anderen Kindern spielen. Duderstadt war für Kinder ein relativ ungefährliches Pflaster. Die Autos mussten wegen des noch weit verbreiteten Kopfsteinpflasters langsam fahren. Und die ganze Innenstadt war umgeben von einem herrlich grünen Wall.
Allerdings legte sein Adoptivvater großen Wert darauf, dass sein Sohn schon sehr bald in der Schlachterei einfache Arbeiten erledigte, so wie es bei ihm selbst in seiner Kindheit der Fall gewesen war. Er wollte ihn von Anfang an auf den Beruf des Schlachters vorbereiten. Stefan war bei einigen seiner Kumpels gut angesehen, weil er ab und zu Würstchen verteilte. Seine Mutter war in dieser Hinsicht großzügig. Als er acht Jahre alt war und mal zehn Würstchen nahm, ohne zu fragen, wurde er vom Großvater beobachtet. Abends kam er vom Spielen zurück und seine Mutter sah ihn ganz beleidigt an und sagte, er solle zum Vater kommen. Also ging er in die Schlachterei. Der Großvater war gerade bei ihm. Hans sah seinen Sohn an, zog ihn am Ohr und versetzte ihm eine leichte Ohrfeige:
»Erst fragen und dann nehmen!«, war alles, was er sagte. Stefan wusste, dass er etwas falsch gemacht hatte und nahm es dem Vater nicht übel.
Plötzlich fing der Großvater an zu grinsen und sang:
»Wer nur den lieben langen Tag ohne Plag, ohne Arbeit vertändelt…«
Das löste bei Stefan schlimmste Erinnerungen aus und er rannte wie von der Tarantel gestochen aus der Schlachterei.
Als Stefan zehn Jahre alt wurde, empfahl seine Lehrerin den Eltern, ihn zur Mittelschule zu schicken. Die Mutter war dafür, während Hans diesem Ansinnen skeptisch gegenüberstand. Er meinte, für eine Schlachterlehre brauche man keine Mittelschule. Ob Stefan vielleicht andere Pläne hatte, eine eigene Vorstellung hinsichtlich seiner Zukunft, danach wurde gar nicht gefragt. Sein beruflicher Werdegang war vorbestimmt, so wie es auch bei Hans gewesen war. Damit war die Sache erledigt. Und als die Mutter ihm erklärte, dass man gar keine Zeit mehr zum Spielen hätte, wenn man zu einer höheren Schule ging, war auch Stefan zufrieden, der seine nachmittäglichen Freiräume liebte.
Braunlage: Sie ist tot
Lilly inspizierte Alfonso ungeniert und teilte dann ihr Ergebnis mit: »Also, was die Körpergröße betrifft, übertrumpfst du deinen Vater sogar noch. Auch in deinem Gesicht erkenne ich etwas von ihm wieder. Vor allem diese hochherrschaftliche Nase. Und wenn ich dich so reden höre, dann nimmst du das Leben offenbar genauso leicht wie er. Eduard war ja ein ziemlicher Luftikus. Wenn ich allein an seine Frauengeschichten denke…«
Jetzt sah Hans-Ulrich seinen Bruder scharf an, der allerdings nur Augen für Lilly hatte und sie charmant an-lächelte. In seiner neuen Garderobe, ein sportliches weißes Hemd in Kombination mit kakifarbenen Jeans, sah er aus wie aus dem Ei gepellt. Dazu sein dunkler Teint und die schwarzen Haare. Lilly war jedenfalls ganz hingerissen.
In Elvira hingegen begann es zu brodeln. Erst hatte dieser Charmebolzen ihre Tochter verführt, dann gab es die große Versöhnung, so als ob nichts geschehen wäre. Und nun präsentierte sich der Kerl vor dieser alten Xantippe wie der brave Junge von nebenan.
»Also, bevor mir schlecht wird, gehe ich lieber schwimmen. Hans-Ulrich, könntest du mich begleiten? Oder soll ich mit deinem Luxusauto fahren?«
»Um Gottes Willen, Schwiegermama. Ich wollte den Wagen ganz gern noch etwas behalten.«
»Tu bloß nicht so, als ob ich nicht fahren kann.«
»Oh, das würde ich mir nie erlauben. Du bist eine hervorragende Fahrerin. Trotz der zahlreichen Beulen und Schrammen an deinem Auto ist bei dir noch nie jemand zu Schaden gekommen. Wenn man mal von dem Baum absieht, der sich erdreistet hat, mitten auf dem Parkplatz zu stehen. Aber meinst du, dass es gut ist, nach dem opulenten Mittagessen zu schwimmen?«
»Erstens war das Essen nicht opulent und zweitens ist es schon wieder Stunden her.«
Schließlich rafften sich Elvira, Beate und Hans-Ulrich auf, um zum
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