Mörderische Harzreise (German Edition)
Oderteich zu fahren. Vorher musste Hans-Ulrich allerdings noch beim Bäcker halten, damit Elvira eine kleine Stärkung für den Badeausflug besorgen konnte.
Lilly hingegen genoss die durch die Abwesenheit der drei Gäste gewonnene Ruhe, um sich weiter mit dem charmanten Alfonso zu unterhalten.
»Und wie stellst du dir dein weiteres Leben vor?«, fragte sie.
»Oh, ich bin noch am Sondieren. Auf jeden Fall werde ich in Deutschland bleiben. In Mexiko ist es mir zu heiß geworden. Und damit meine ich nicht das Wetter.«
»Was hast du in Mexiko angestellt?«
»Nichts Besonderes. Es gibt nur Leute, die mir nach dem Leben trachten.«
»Und du meinst, dass du hier in Sicherheit bist?«
»Ich wüsste nicht, wie irgendjemand herausbekommen sollte, wo ich bin.«
»Flugverbindungen, Kreditkarten, Handy…«, war Lillys lapidare Antwort.
»Man kann mich nur bis Frankfurt verfolgen. Kreditkarten benutze ich nicht mehr. Und mein Handy habe ich schon in Mexiko weggeworfen.«
Als Lilly ihrem Großneffen Amadeus abends über Alfonso berichtete, meinte er:
»Tante Lilly, das scheint ein ganz schräger Vogel zu sein. Halte dich bloß von ihm fern. Ich ahne schon wieder, was da auf dich zukommt. Am Ende kriegst du es noch mit der mexikanischen Drogenmafia zu tun.«
»Ach Amadeus, sei nicht so ein Hasenfuß. Ich kann doch nicht aus lauter Angst und Vorsicht aufhören zu leben.«
Kaum hatte Lilly aufgelegt, da bimmelte das Telefon schon wieder. Ferdinand war dran:
»Lilly, es ist etwas Schreckliches passiert. Elvira ist tot.«
Duderstadt
Mit fünfzehn beendete Stefan die Schule. Dass er ein gutes Abschlusszeugnis hatte, freute den Vater, der ihm fünf Mark in die Hand drückte. Die Mutter nahm es kaum zur Kenntnis. Brigitte hatte sich in den letzten Jahren verändert. Sie war abgearbeitet wie ein alter Ackergaul und hatte keinerlei Lebensfreude mehr. Sie stand morgens sehr früh auf, half erst in der Schlachterei, dann öffnete sie den Laden, den sie frühestens abends gegen sieben Uhr verließ. Sie hatte zwar zwei Verkäuferinnen, die ihr in den Stoßzeiten zur Hand gingen, aber es war einfach zu viel für sie. Zwischendurch musste sie sich auch noch um den Haushalt und das Essen kümmern. Und sonntags erledigte sie die Buchführung. Dazu kam noch der nörgelige alte Schwiegervater, der alles besser wusste und immer wieder betonte, wie gut doch früher, als seine Frau noch gelebt hatte, alles gelaufen sei. In all den Jahren hatten sie nicht ein einziges Mal Urlaub gemacht. Dabei hätten sie es sich durchaus leisten können, die Schlachterei mal für eine Woche zu schließen. Erst recht im Sommer, wenn sowieso nicht so viel los war.
Stefan begann unmittelbar nach dem Schulabschluss seine Ausbildung im väterlichen Betrieb. Er war ohnehin schon mit vielen Arbeiten vertraut. Jetzt kam nur noch die Berufsschule dazu. Der normale Arbeitstag war für Stefan sehr lang. Er musste früh raus und hörte erst auf, wenn auch der Vater Feierabend machte. An einen Acht-Stunden-Tag war nicht zu denken. Nach ein paar Monaten beherrschte er die Arbeit genauso gut wie der Geselle. Hans hatte seine Freude an ihm. Da passierte eines Tages etwas Schreckliches. Die Mutter hatte einen Zusammenbruch. Sie war völlig entkräftet und mit ihren Nerven am Ende. Der Rat des Arztes, sie in eine psychiatrische Klinik zu bringen, wurde ignoriert. Sie arbeitete zwar nicht mehr im Laden, versorgte aber den Haushalt noch halbwegs.
Als Hans und Stefan eines Tages zum Mittagessen in die Wohnung kamen, fanden sie Brigitte leblos im Bett. Sie hatte alle Medikamente genommen, derer sie habhaft wurde, und war daran gestorben.
Stefan war eine Zeitlang wie paralysiert. Hans sprach kaum noch ein Wort. Und der Großvater drückte mehr als einmal seine Missbilligung aus. Irgendwann, die drei Männer aßen gerade zu Abend, gab er von sich, dass Selbstmörder im Himmel keinen Platz hätten. Daraufhin erhob sich sein Sohn zum ersten Mal in seinem Leben gegen ihn, indem er ihm mit Abscheu ins Gesicht sah und hasserfüllt sagte: »Halt dein verfluchtes Maul, Vater!«
Von da an sprachen die beiden nur noch das Allernotwendigste miteinander. Hans stellte eine Haushälterin ein und noch eine Verkäuferin. Und so schlug sich der Männerhaushalt mühselig durchs Leben.
Als Hans für eine Woche ins Krankenhaus musste, lastete die Arbeit auf Stefan und dem Gesellen. Der Großvater, der die Schlachterei lange Zeit geführt hatte, fing plötzlich an, sich als Chef
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