Mörderische Harzreise (German Edition)
erhob sich auch Hans-Ulrich und ging auf den Mann zu.
»Dann bist du mein Bruder.«
Nun umarmte er seinen älteren Bruder, bis diesem fast die Luft wegblieb. Dann ging er um den Tisch herum und stürzte sich auf Elvira, die ihm als Schwiegermutter seines Bruders vorgestellt wurde. So heftig hatte sie seit langem kein Mann mehr berührt. Und schließlich Beate, die sich erhoben hatte und ihren neuen Schwager verschüchtert anschaute. Beate war mit ihrem mittellangen blonden Haar und ihrer schlanken Figur durchaus als hübsch zu bezeichnen. Auf Alfonso hatte sie jedoch eine Wirkung, als hätte er noch nie eine so bezaubernde Frau gesehen. Erst umarmte er sie, dann küsste er sie auf beide Wangen und schließlich auf die Stirn. Er streichelte ihr übers Haar und konnte sich gar nicht satt sehen. Schließlich sagte Hans-Ulrich: »Nun lass noch was übrig von meiner Frau. Setz dich lieber hin und trink einen Kaffee.«
Das tat er dann auch. Und dann ging die Fragerei los. Alfonso musste alles erzählen. Über seine Kindheit und Jugend, über die Eltern bis hin zur Gegenwart. Ferdinand war erstaunt darüber, was sein Vater ihm offenbar alles über seine Familie in Deutschland erzählt hatte.
»Und du bist also Mönch, wenn ich das richtig sehe«, meinte Hans-Ulrich.
»Nur nebenberuflich. Davon kann man ja nicht gut leben. Außerdem darf man als Mönch keine Frauen haben.«
»Nebenberuflich? Wie geht denn das? Willst du uns verarschen? Und was machst du hauptberuflich?«
»Finanzdienstleistungen für die Drogenwirtschaft.«
»Was? Bist du etwa Drogenhändler?«
»Aber nein. Ich wasche nur das Geld aus dem Kokainhandel.«
»Verstehe ich das richtig? Du bist Mönch und Verbrecher gleichzeitig?«
»Ich bin doch kein Verbrecher. Ich denke, ich muss dir das mal in Ruhe erklären. Die mexikanische Kultur ist für Europäer nicht so einfach zu verstehen.«
»Das glaube ich allerdings auch.«
Nach dem Frühstück, das in eine etwa einstündige Fragestunde mündete, zeigten sich bei Alfonso Ermüdungserscheinungen. Er hatte den Flug hinter sich, war von Frankfurt aus bis nach Goslar mit dem Zug gefahren und von dort mit dem Taxi nach Braunlage. Frau Kuhfuß wies ihm ein Zimmer zu. Er wollte erst mal duschen und sich dann eine Stunde ausruhen. Nach seinem Gepäck befragt, antwortete Alfonso: »Ich habe kein Gepäck. Nur einen Rucksack mit meinem Geld. Ich werde mir morgen neue Sachen kaufen. Der Aufbruch war zu hektisch, um noch Koffer zu packen.«
Zum Mittagessen erschien Alfonso frisch geduscht, aber noch immer in seiner weißen Kutte, die durch die lange Reise etwas lädiert aussah. Die Fragerei setzte sich fort. Was er denn in Deutschland vorhabe und so weiter.
»Ich fange ein neues Leben an. Und zu diesem Zweck will ich erst mal meine deutsche Familie kennenlernen.«
Ferdinand schwante Schreckliches. So sympathisch dieser komische Neffe war, hatte er doch allmählich den Eindruck, dass es mit seinem ruhigen Leben vorbei war. Hans-Ulrich hatte sich nicht darüber ausgelassen, wie lange er und seine Damen zu bleiben gedachten. Und nun war auch noch ein mexikanischer Verwandter, von dessen Existenz er kaum etwas gewusst hatte, eingezogen. Und alle benahmen sich so, als wären sie hier zu Hause.
»Wer macht mit mir nach dem Essen einen Spaziergang durch den Wald? Mein Vater hat mir immer vorgeschwärmt, wie schön der Harzer Wald ist.«
»Ich komme gern mit«, sagte Beate. Alle schauten sie erstaunt an, und ihr Mann brachte es auf den Punkt: »Na, das ist aber seltsam. Sonst bewegst du deinen Hintern nicht mal fünf Meter aus dem Garten heraus. Und jetzt willst du im Wald spazieren gehen?«
»Warum nicht? Wenn man angenehme Gesellschaft hat.«
Da Ferdinands Haus am Ortsrand lag, waren es nur ein paar Minuten bis in den Hochwald. Alfonso war fasziniert und fragte Beate nach wilden Tieren, Giftschlangen und so weiter. Da Beate ihn beruhigen konnte, dass es wohl weder Bären noch Pumas oder gefährliche Reptilien gab, genoss er den Spaziergang noch mehr. Das Wildschwein, das vor einiger Zeit mal Spaziergänger attackiert hatte, erwähnte sie ebenso wenig wie die Tatsache, dass es Kreuzottern gab. Es war heiß, trotz der Höhenlage und des Schattens, den der Hochwald warf.
»Ist dir nicht zu warm in der langen Kutte?«
»Aber nein, es ist ganz luftig darunter. Ich habe ja sonst nichts an.«
»Was? Willst du etwa sagen, dass du darunter nackt bist?«
»Ja.«
»Das glaube ich dir nicht.«
Prompt zog er sich
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