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Mörderische Harzreise (German Edition)

Mörderische Harzreise (German Edition)

Titel: Mörderische Harzreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Exner
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die Kutte hoch bis zur Brust und bewies es ihr. Obwohl peinlich berührt, musste sie anfangen zu lachen. Ein Stück entfernt sah ein älteres Ehepaar dieses Schauspiel, und der Mann sagte:
    »Nun guck dir das an. Der Mönch da drüben ist ein Exhibitionist. Es reicht wohl nicht, dass man im Harz nackt rodelt und wandert. Jetzt treiben es sogar schon die Mönche in der Öffentlichkeit.«
    Seine Frau glotzte verständnislos und fragte: »Sollen wir die Polizei rufen?«
    »Nein, offenbar findet die Frau ja noch Gefallen daran. Vielleicht zieht sie sich ja auch aus. Interessantes Schauspiel. Und ausgerechnet heute habe ich das Fernglas nicht dabei.«
    Beate zog sich nicht aus. Aber das Verhalten ihres Schwagers hatte ihr einen Stich versetzt. Und den empfand sie nicht als unangenehm. Seit langem war sie nicht mehr von solcher Leichtigkeit und Beschwingtheit erfüllt gewesen.
    Erst zwei Stunden später kamen sie wieder bei Ferdinands Haus an. Hans-Ulrich und seine Schwiegermutter sahen die beiden an, als hätten sie Strip-Poker miteinander gespielt. Irgendwas war mit Beate los, seit dieser mexikanische, geldwaschende Teilzeitmönch eingetroffen war.

Duderstadt, Anfang der sechziger Jahre:
    Stefan
     

     
     
    Als Stefan im Alter von vier Jahren adoptiert wurde, hatte er schon einiges hinter sich. Unehelich von einer sehr jungen Mutter zur Welt gebracht, der Vater ebenso desinteressiert wie die Großeltern, landete er im Alter von drei Jahren in einer Pflegefamilie. Die völlig überforderte Mutter war am Ende ihrer Kräfte und begann, ihn zu vernachlässigen. In der Pflegefamilie fand der Junge auch keine besondere Zuwendung. Schließlich kam er für kurze Zeit in ein Heim.
    Das Ehepaar Anselmann in Duderstadt, die Frau Mitte dreißig und ihr Mann Ende vierzig, war kinderlos und wollte gern einen Sohn adoptieren. Allein schon wegen ihrer Schlachterei, die Hans Anselmann in dritter Generation führte, musste unbedingt ein Sohn her. Angesichts des fortgeschrittenen Alters von Hans Anselmann kam für die Behörden ein Baby zur Adoption bei dem Ehepaar nicht in Frage. Also würde man sich mit einem älteren Kind begnügen müssen. Stefans Mutter entschloss sich schließlich, ihren Jungen zur Adoption freizugeben. Und im Alter von vier Jahren hatte Stefan nun ein neues Zuhause.
    Seine neuen Eltern waren hart arbeitende Menschen. Das Eichsfeld, idyllisch im südlichen Harzvorland gelegen, ist eine katholische Enklave inmitten urprotestantischen Gebiets. Damals waren Unter- und Obereichsfeld noch durch den eisernen Vorhang getrennt. Auch wenn dieser immerhin noch durchlässig genug war, dass die Einwohner eines ganzen Dorfes bei Nacht und Nebel die Grenze überwinden konnten. Duderstadt gehörte zum Untereichsfeld und damit zum Westen. Und es ist berühmt für seine Wurstspezialitäten. Warmschlachtung, Eichsfelder Strakke und Kälberblase sind Begriffe, die man weit über das Eichsfeld hinaus kennt und mit der Region und dem mittelalterlichen Städtchen verbindet. Aber es gab auch eine große Konkurrenz. Viele Schlachtereien gaben ihr Bestes, um die Kundschaft am Ort und von außerhalb anzulocken. Hans arbeitete sechs Tage die Woche in der Schlachterei, während seine Frau Brigitte im Laden stand. Sie hatte gar keine Vorstellung gehabt, wie viel Zeit und Zuwendung ein Kind einer Mutter abverlangte. Der kleine Stefan hielt sich die meiste Zeit in einem Nebenraum des Ladens auf, damit die neue Mutter ab und zu nach ihm schauen konnte. Um den Jungen draußen mit anderen Kindern spielen zu lassen, war sie zu ängstlich. Sonntags wurde Stefan dann gut angezogen und musste mit den Eltern spazieren gehen. So entwickelte sich Stefan zu einem in sich gekehrten Kind. Die einzigen Minuten am Tag, wo es zwischen Mutter und Kind zu einer emotionalen Nähe kam, war abends, wenn er ins Bett gebracht wurde. Der Vater war zwar ein gutmütiger Mensch, hatte aber überhaupt keinen Draht zu ihm. Das Verhältnis zu seinem eigenen Vater hatte während seiner Kindheit darin bestanden, verprügelt zu werden, wann immer sich ein Grund dafür fand.
    Hans´ Vater lebte auch noch im Haus der kleinen Familie. Er war Mitte siebzig und hatte sich von der Arbeit in der Schlachterei zurückgezogen, weil er seiner Meinung nach genug geackert hatte in seinem Leben. Er war im Gegensatz zu Hans ein großer, dünner Mann mit weißem Haar. Trotz seines Alters hatte er immer noch viel Kraft, mal mit anzupacken, dachte aber gar nicht daran, seinem Sohn zu helfen.

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