Mörderische Harzreise (German Edition)
nicht wusste?
Im Wohnzimmer setzte sich Ferdinand in seinen bequemen Sessel, und Frau Kuhfuß nahm gegenüber auf dem Sofa Platz.
»Herr Dünnbier, wissen Sie, wer das Bild gemalt hat?«
»Ja, das war ein ortsansässiger Maler, ein gewisser Heinrich Haseloff.«
»Richtig. Und was wissen Sie über ihn?«
»Gar nichts. Nur, dass er schon lange tot ist.«
»Richtig. Er ist 1924 gestorben. Und er war mein Großvater.«
Ferdinand wollte etwas sagen, bekam aber vor Staunen keinen Ton heraus. Nun berichtete Frau Kuhfuß ihm, was sie wusste.
»Ich bin eine geborene Haseloff, was Sie natürlich nicht wissen können. Mein Großvater ist lange, bevor ich auf die Welt kam, gestorben. Aber mein Vater hat mir kurz vor seinem Tod alles erzählt. Heinrich Haseloff galt als Sonderling, in seinen späten Jahren sogar als verrückt. Er muss wohl Wahnvorstellungen gehabt haben. Nur, so manches, was er an verrückten Dingen von sich gegeben hat, soll tatsächlich eingetreten sein. Kurz vor seinem Tod hat er immer über ein Bild geredet. Das Bild mit der Frau in Weiß. Sechs Menschen werden sterben. Und das Bild weiß es. Es wird zeigen, wann es soweit ist. Das soll er immer wieder gesagt haben.«
»Also, Frau Kuhfuß, da kann einem ja angst und bange werden. Wenn ich richtig gerechnet habe, dann ist Elvira die Fünfte gewesen.«
»Ja, das ist wohl so. 1924 starb eine Frau aus Hamburg, die hier zu Gast war. Sie kam bei einem Brand ums Leben. 1936 stürzte eine Frau vom Balkon. Und 1948 verschwand die damalige Besitzerin spurlos. Eine gewisse Frau Siebert.«
»Ja, und 1960 entdeckte meine Mutter eine Veränderung auf dem Bild. Und noch am selben Tag erlag sie den Verletzungen eines Unfalls.«
»Naja, und vor ein paar Tagen starb die Dame, die jetzt auf Ihrem Kaminsims steht. Das war Nummer fünf.«
Ferdinand drehte sich um und starrte Richtung Kamin.
»Und jetzt ist also der sechste Todesfall angekündigt«, sagte Frau Kuhfuß. »Bis jetzt sind immer Frauen gestorben.«
»Wollen Sie lieber erst mal zuhause bleiben, Frau Kuhfuß?«
»Dazu ist es zu spät. Der Tod kann einen ja überall erhaschen. Ihre Mutter ist in Hannover gestorben. Ob das mit den Frauen etwas zu sagen hat oder Zufall ist, weiß man sowieso nicht. Vielleicht ist das Ganze ja auch nur Spinnerei.«
»Ich hoffe es, Frau Kuhfuß. So allmählich läuft mir alles aus dem Ruder. Ich will eigentlich nur noch meine Ruhe haben.«
Duderstadt
Michael wuchs heran, ohne dass sich das Verhältnis zum Vater spürbar veränderte. Stefan war und blieb für seinen Sohn der Fels in der Brandung. Egal, welche Probleme er hatte, bei seinem Vater fand der Junge immer ein offenes Ohr. Er wurde nie angebrüllt oder grob getadelt. Auf der anderen Seite galt das Wort des Vaters. Wenn er etwas verbot, dann war es sinnlos, zu nörgeln, zu bitten und zu betteln. Stefan war für Michael die höchste Instanz. Das blieb selbst in der frühzeitig einsetzenden Pubertät so.
Als Michael vierzehn war, wurde Stefan eines Tages von der Polizei angerufen. Man hatte seinen Sohn eines Ladendiebstahls überführt. Zuhause ließ er Michael alles in Ruhe erzählen, warum und wieso er das getan hatte. Stefan machte seinem Sohn keine Vorhaltungen, hielt ihm keine Moralpredigt oder bestrafte ihn. Er sagte lediglich: »Das hat rechtliche Konsequenzen. Wahrscheinlich wird dich der Jugendrichter zu Sozialstunden verdonnern. Da musst du jetzt durch.«
Als Michael sechzehn war, wurde er aufsässig. Vor allem seiner Mutter gegenüber, von der er sich nichts sagen ließ. Es reichte, wenn Stefan abends in sein Zimmer ging und sich mit ihm unterhielt, ihn gegebenenfalls auch einmal scharf anblickte, um ihn von seinem Selbstverwirklichungstrip in die Realität zurückzuholen. Ansonsten machte Michael kaum Schwierigkeiten. Er ging aufs Gymnasium und kam dort gut zurecht. Natürlich hing er gelegentlich mit einigen Kumpels herum und Stefan war vollkommen klar, dass diese Heranwachsenden auch einiges anstellten. Das gehörte zum Erwachsenwerden. Ein normaler Jugendlicher war nicht so brav, wie er selbst in diesem Alter gewesen war.
Eines Abends wurde Stefan wieder von der Polizei angerufen. Er fuhr sofort aufs Revier und dort wurde ihm gesagt, dass Michael zusammen mit drei anderen Jungen ein Auto geklaut habe und damit herumgefahren sei. Es sei aber niemand zu Schaden gekommen. Auch dem Auto sei nichts passiert.
Das war eine ernste Sache. Ein kleiner Ladendiebstahl mit vierzehn zog keine großen
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