Mörderische Harzreise (German Edition)
beiden Männer schauten sich nachdenklich an. Schließlich redete Michael weiter: »Die fachliche Geschichte mit dem Zitat ist sowieso nur vorgeschoben.«
»Wieso? Geht es noch um etwas anderes?«
»Das kann man so sagen. Wenn ich ihm sexuell zu Diensten wäre, gäbe es das ganze Problem nicht. Aber erstens bin ich nicht so gepolt und zweitens möchte ich auch noch in den Spiegel schauen können.«
»Das kannst du dir nicht gefallen lassen.«
»Ich habe nicht den geringsten Beweis. Wenn er sagt, er macht mich fertig, dann findet er dafür geeignete Mittel und Wege.«
»Wie heißt der Professor?«
Braunlage
Nachmittags ging Hans-Ulrich zum Bestatter.
»Ich hoffe, Sie haben nicht schon wieder einen Trauerfall in der Familie«, sagte der freundliche Herr, hoffte aber insgeheim das Gegenteil.
»Nein. Ich hätte gern noch eine Urne. Meine Frau fand die Idee gut, schon zu Lebzeiten eine Urne anzuschaffen. Und da ich schon eine habe, will sie jetzt auch eine.«
»Im Partnerlook?«
»Tja, es sei denn, Sie haben farblich etwas Kräftigeres. Also am liebsten hätte ich für sie etwas Papageienfarbenes.«
»Oh. Sie meinen ein sattes Rot und Grün und dergleichen?«
»So kann man es auch ausdrücken.«
»Also, eine Keramikerin aus der Gegend hat mir neulich eine ganz individuelle Kollektion dagelassen. Das sind wirklich ungewöhnliche Stücke. Ich habe mich, ehrlich gesagt, noch gar nicht getraut, sie auszustellen. Die meisten Leute bevorzugen ja dezente Trauerfarben.«
Dann führte der freundliche Bestatter Hans-Ulrich in einen Nebenraum und holte aus einem Schrank eine knallbunte Urne.
»Mein Gott, das ist es. Einem normal empfindenden Ästheten tun davon zwar die Augen weh. Und mir klappen fast die Fußnägel hoch, wenn ich das sehe. Aber das trifft exakt den Geschmack meiner Frau. Die nehme ich.«
Als Hans-Ulrich mit der Urne nach Hause kam, verzog Beate das Gesicht, sagte aber dann: »Ja, ich glaube, die hätte Mutter gefallen.«
Die Urne vereinte Knallrot, Chicheringrün, Sonnengelb und Tintenblau miteinander. Als Hans-Ulrich das verhaltene Lob seiner Frau hörte, lächelte er vor Stolz. Ferdinand brach fast zusammen und eilte in die Küche, um ungehindert lachen zu können.
Dann sprach Hans-Ulrich das heikle Thema an: »Wann wollen wir Elvira denn nun den Elementen übergeben?«
Beate schien mit diesem Thema überfordert und entgegnete: »Du wirst sie doch wohl noch eine Zeitlang ertragen können. Oder gibt es irgend einen Grund zur Eile?«
»Naja, wenn wir sie im Harz verstreuen wollen, ich meine, ihre Asche verstreuen wollen, dann sollten wir vielleicht nicht mehr so lange warten. Irgendwann müssen wir ja auch mal wieder nach Hause fahren.«
»Hast du etwa vor, wieder zu arbeiten? Der Laden läuft doch ohne dich viel besser.«
»Danke für das Kompliment.«
»Ich bleibe jedenfalls noch eine Weile. Mein ganzer Trost in dieser schweren Zeit ist Alfonso. Ich möchte ihn nicht schon wieder verlieren. Schließlich habe ich gerade erst meine Mutter verloren.«
»Ach so. Ja, gut zu wissen. Na, dann tröste dich ruhig noch ein bisschen weiter.«
Jetzt war Hans-Ulrich verärgert. Und er hatte das Bedürfnis, Beate dies auch spüren zu lassen.
»Von mir aus kannst du bis zum Winter bleiben. Dann kannst du die Asche als Streugut benutzen.«
Das war zu viel. Beate, die immer noch die Urne in den Händen hielt, machte Anstalten, sie ihrem Mann an den Kopf zu werfen. Hans-Ulrich wehrte ab und rief: »Wenn du das tust, kommt Elvira in die Mülltonne.«
Beate konnte sich gerade noch beherrschen, stellte die Urne auf den Tisch und warf ihrem Mann einen apokalyptischen Blick zu.
Göttingen
»Sind Sie Professor Tisch?«
Stefan stand ein älterer Herr gegenüber, sonnengebräunt, mit langem grau-weißem Haar. Er legte ganz offensichtlich Wert auf sein Äußeres. Salopp in Jeans und offenem Hemd gekleidet, schaute er Stefan blasiert von oben herab an.
»Ja, das bin ich.«
»Entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Anselmann. Ich würde Sie gerne sprechen.«
Stefan hatte seinem Sohn zwei Flugtickets nach London gekauft, damit er übers Wochenende mit seiner neuen Freundin mal raus kam. Er wollte nicht der bemitleidenswerte Vater sein, mit dem man immer seine Zeit verbringen musste. Er wünschte sich für Michael ein möglichst freies Leben. Gern wollte er daran teilhaben, ihm dabei aber auf keinen Fall zur Last fallen. Außerdem war es gut, seinen Sohn weit weg zu wissen für den
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