Mörderische Harzreise (German Edition)
im Gegensatz zu unseren Verwandten, den Tieren, sollten die Mitglieder der Spezies Mensch auch Verantwortung tragen für alles, was sie tun. Es ist nicht damit getan, dass der Herr Papa sich um solche Unfälle seiner Söhne kümmert und einfach Geld hinterherschiebt. Du trägst die Verantwortung für ein Menschenleben. Und wenn dieser arme Mann dann nach über einem halben Jahrhundert kommt, um seinen Erzeuger kennenzulernen, dann schiebst du ihn weg wie einen alten Pappkarton.«
»Aber, ich habe doch gar kein Verhältnis zu…«
»Papperlapapp! Wie sollst du denn ein Verhältnis bekommen, wenn du nicht mal bereit bist, ihn kennenzulernen? Woher willst du wissen, was er vielleicht alles durchgemacht hat, nur weil du deiner Verantwortung nicht nachgekommen bist? Du hast die Chance bekommen, etwas gutzumachen, was du vor vielen Jahren versaubeutelt hast.«
Lillys Redefluss nahm kein Ende. Ferdinand kam sich vor wie ein dummer Bengel. Solche Strafpredigten hatte er zuletzt von seinem Vater gehört. Und der war schon lange tot. Hätte er Lilly doch bloß nicht angerufen. Jetzt war es mit seiner Ruhe endgültig vorbei. Vor allem hatte er jetzt ein schlechtes Gewissen. Seine Argumente Lilly gegenüber standen auf so tönernen Füßen, dass sie sie mit einem Tritt zu einem Scherbenhaufen gemacht hatte. Auch sich selbst gegenüber hatte er nun keinerlei Rechtfertigung für sein Verhalten mehr. Weder für das, was er damals getan hatte noch für seine Reaktion heute. Er fühlte sich einfach nur schlecht. Wie sollte er aus diesem Tief wieder herauskommen?
Er brauchte jetzt jemanden, der ihn wieder aufrichtete. Enge Freunde hatte er nicht, außer Lilly. Und die hatte ihm gerade den Marsch geblasen. Und so fuchtig, wie sie sich angehört hatte, war der Fall für sie auch noch nicht erledigt. Mit Sicherheit würde sie in den nächsten Tagen bei ihm aufkreuzen und ein wahres Tohuwabohu veranstalten. Und das würde so lange anhalten, bis sein ruhiges Leben endgültig aus den Fugen geraten wäre. Mit Sicherheit würde sie darauf bestehen, dass er Kontakt zu seinem vermeintlichen Sohn aufnahm. Und diese ganze vermaledeite Sache würde sein Leben vollends auf einen Weg bringen, den er nie hatte gehen wollen. Lilly war auf eine Art wirklich eine wunderbare Freundin. Aber auf eine ganz andere Art war sie die größte Nervensäge, die er kannte. Warum mussten Frauen im Allgemeinen und Lilly im Besonderen, eigentlich so furchtbar kompliziert sein? Er wusste ganz genau, warum er nie geheiratet hatte. Was ihn allerdings nicht davor schützte, sich gelegentlich in den Klauen dieser Wesen zu befinden.
Er überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Da fiel ihm ein Name ein: Johannes Neugebauer. Ferdinand war kein besonders religiöser Mensch. Aber seine Eltern hatten ihn stets angehalten, es mit der Religion ernst zu nehmen. Er gehörte im Harz, diesem lutherischen Bollwerk, zu den wenigen Katholiken und ging auch ab und zu mal in die Kirche. Johannes Neugebauer war zwar nicht Pfarrer seiner Gemeinde, aber er kannte ihn schon, als er noch ein Kind gewesen war. Er war Anfang fünfzig und das uneheliche Kind einer Kollegin von Lilly. Er wusste, dass Lilly seine Mutter, Antonia Neugebauer, nicht sonderlich gut leiden konnte. Statt erhobenen Hauptes mit diesem Umstand umzugehen, hatte Antonia immer unter der Unehelichkeit ihres Sohnes gelitten. Aber Johannes, der Pfarrer geworden war, war damit offenbar ganz gut klargekommen. Er hätte sicherlich Verständnis für ihn. Mit ihm konnte er sich über alles unterhalten. Vielleicht würde er ihm auch die Beichte abnehmen und helfen, sein Leben wieder ins Lot zu bringen. Also rief er Johannes Neugebauer an, der in Goslar wohnte, um sich mit ihm zu verabreden.
Duderstadt
Als Stefan seinen Sohn Michael in Hamburg anrief, war dieser gerade von einem beruflichen Termin in Berlin zurückgekommen. Michael hörte sofort, dass sein Vater in schlechter Stimmung war.
»Was ist dir denn über die Leber gelaufen, Papa? Raus mit der Sprache.«
»Ich wollte dich damit eigentlich nicht belästigen. Aber ich weiß nicht, mit wem ich sonst darüber reden soll. Vielleicht vergesse ich das alles einfach. Warum sollst du dich damit auch noch belasten?«
»Jetzt hör auf, herumzueiern. Sag mir, was dich bedrückt. Ich bin dein einziges Familienmitglied. Wenn wir nicht miteinander reden, wer dann?«
Stefan druckste noch etwas herum. Dann redete er:
»Ich habe meinen leiblichen Vater gesehen.«
»Na, jetzt bin
Weitere Kostenlose Bücher