Moerderische Idylle
Einschätzung stand sie leider nicht alleine da. Der Leitartikel hatte den süßen Duft von Polizeifäule gewittert und sah Anzeichen für dieselbe Verwirrung und Verzweiflung, die die Jagd der Polizei auf den Mörder von Ministerpräsident Olof Palme zwanzig Jahre zuvor gekennzeichnet hatten. Was vielleicht kein Wunder war, denn mehrere der Polizisten, die von der Zentralen Kriminalpolizei zur Ermittlung im Mordfall Linda nach Växjö geschickt worden waren, hatten auch bei den damaligen Ermittlungen eine zentrale Rolle gespielt.
Auch die Zeitung Barometern in Kalmar nahm sich im Leitartikel des Lindamordes an, wenn auch aus einem teilweise anderen Winkel als die Kollegen in der Hauptstadt. Barometern erkannte vor allem eine Kollision von zwei Polizeikulturen. Auf der einen Seite der Kultur der Polizei von Växjö mit ihren Orts- und Personenkenntnissen - »Man kennt seine Pappenheimer« -, wo man es vorzog, im kleinen und tief auslotenden Format zu wirken. Andererseits die der Kollegen von der Zentralen Kriminalpolizei, die in der Welt der Computer arbeiteten, an den Umgang mit fast unbegrenzten Mitteln gewöhnt waren und ihre Probleme auf so breiter Front wie überhaupt nur möglich angingen.
Auch Barometern schien seine Quellen bei der Polizei zu haben. Und denen zufolge war es schon ziemlich früh zu Reibereien innerhalb der Ermittlungsleitung gekommen, und davon konnte die Arbeit natürlich nicht direkt profitieren, egal, wer nun im Recht sein mochte und wer nicht. Abschließend brachte man besorgt zum Ausdruck, es sei noch viel zu früh, die Flinte ins Korn zu werfen, und hoffentlich werde man den Täter am Ende doch noch finden, obwohl seit dem Mord an Linda nun schon mehr als ein Monat vergangen war.
An diesem Tag dauerte die Morgenbesprechung den ganzen Vormittag bis zum Mittagessen. Im Grunde wurde nur über das geredet, was an diesem Tag in der Zeitung gestanden hatte. Kommissar Olsson stellte sogar eine Frage zur Palmeermittlung. Natürlich aus rein persönlicher Neugier und durchaus nicht als Kritik gemeint. Aber dennoch.
»Ja, du, Bäckström, du warst damals doch auch dabei«, sagte Olsson aus irgendeinem Grund.
»Sicher«, sagte Bäckström mit dem Gewicht des Mannes, der sein ganzes erwachsenes Polizistenleben als Mordermittler verbracht hatte. »Das Problem war wohl, dass die Leute, die das Sagen hatten, nicht auf mich hören wollten.«
»Ich habe einige Vernehmungen durchgeführt«, sagte Rogersson und zuckte mit den Schultern. »Und wenn die Herrschaften entschuldigen, werde ich auch jetzt erwartet.« Dann nickte er kurz und war verschwunden.
»Ich war auch dabei«, sagte Lewin. »Was vielleicht kein Wunder ist, denn so gut wie alle, die damals in Stockholm bei der Kriminalpolizei waren, hatten damit zu tun. Und auch auf mich hat niemand gehört, falls das irgendwen hier interessiert«, fügte er hinzu.
Dann entschuldigte auch er sich und ging.
Bäckström blieb keine Wahl. Er blieb sitzen und sah zu, wie ein weiterer Tag seiner knapp bemessenen Zeit vergeudet wurde, ehe er endlich den Sinnlosigkeiten ein Ende setzen und dafür sorgen konnte, dass er immerhin etwas in den Magen bekam.
Rogersson hatte offenbar nicht nur Vernehmungen durchgeführt. Unter anderem saß er schon in der Kantine, als ein saurer Bäckström sich mit dem Tagesgericht und, aus Mangel an echtem Bier, einem Lightbier zu ihm setzte.
»Sitzt du gut«, fragte Rogersson, sowie Bäckström sich gesetzt hatte.
»Ja«, sagte Bäckström.
»Jetzt ist beim Job oben in Stockholm der Teufel los«, sagte Rogersson, beugte sich über den Tisch, senkte die Stimme und nickte Bäckström aufgeregt zu.
»Ist Nulli mit seinem kleinen Bücherwagen beim Zettkazeh auf Ebene elf aufgetaucht?«, fragte Bäckström und strich sich dick Butter auf sein trockenes Baguette.
»Ich hab mit einem von den Jungs beim Job geredet«, sagte Rogersson. »Weißt du, wer Nullis Nachfolger wird?«
»Nein, woher soll ich das wissen, zum Teufel«, fragte Bäckström.
»Johansson«, sagte Rogersson. »Lars Martin Johansson. Du weißt doch, der, den die Kollegen von der Ordnung den Schlächter aus Ädalen getauft haben.«
»Du meinst den Scheißlappen. Das kann doch verdammt noch mal nicht wahr sein«, sagte Bäckström.
»Sichere Quelle«, sagte Rogersson.
Außerdem eine seltsame Quelle, da die Besprechung der Regierung, bei der eine Stunde zuvor Lars Martin Johansson, der stellvertretende Leiter der Sicherheitspolizei, zum neuen
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