Moerderische Idylle
jemals wieder einen Fuß in die Wohnung in Växjö zu setzen, aber was sie damit anfangen sollte, hatte sie sich noch nicht überlegen können. Besonders leicht verkäuflich dürfte die nicht sein. Sie war inzwischen den Zeitungslesern, Radiohörern und Fernsehkonsumenten im ganzen Land als die »Mordwohnung« bekannt. Die Nachbarn teilten sich in zwei Gruppen. Die einen versuchten, durch das Fenster in die Wohnung zu blicken, wenn sie sich vorbeischlichen. Die anderen machten einen großen Bogen um das Haus. Sie hatte schon einen anonymen Brief von jemandem aus der Nachbarschaft bekommen, der sich Sorgen machte, dass seine eigene Wohnung an Wert verlieren könnte, und der sie dafür verantwortlich machte. Aber das war ihre geringste Sorge.
Sie hatte vor mehr als drei Jahren zuletzt mit Bengt Mänsson gesprochen. Danach hatte es keinerlei Kontakt mehr gegeben. Sie hatte einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, und er hatte nicht den geringsten Versuch unternommen, sie zu treffen. Sie hatte die Beziehung beendet, sowie sie festgestellt hatte, dass es keine wirklichen gemeinsamen Interessen gab und er sich eigentlich auch nicht für sie interessierte. Ansonsten hatte sie dieselbe Geschichte erzählt wie er. Wie sie sich kennengelernt hatten, wie lange sie miteinander zu tun gehabt hatten, wo sie sich getroffen hatten. Anna Sandberg hatte keine eindringlicheren Fragen nach ihrer sexuellen Beziehung gestellt. Sie hatte nicht einmal mit dem Gedanken gespielt, das zu tun.
Dass ihre Tochter sich ebenfalls mit Bengt Mänsson getroffen hatte, hatte Linda ihr erzählt. Einige Jahre später, in dieser schweren Zeit in ihrem und in Lindas Leben, als Linda zu ihrem »angebeteten Papa« gezogen war, hatte Linda ihr das bei einer ihrer vielen Streitereien an den Kopf geworfen. Nicht, dass sie miteinander geschlafen hatten, was die Mutter sich ohnehin schon gedacht hatte, sondern nur, dass Linda sich mit ihm traf. Am nächsten Tag hatte Linda angerufen und um Entschuldigung gebeten. Es sei so etwas gewesen, das man halt sagt, wenn man wütend ist, sie habe das aber nicht ernst gemeint, hatte Linda behauptet. Die Mutter hatte versucht, diesen Gedanken zu verdrängen. Jetzt bereute sie zutiefst, dass sie nicht sofort zu Bengt gefahren war und ihn totgeschlagen hatte.
»Es ist meine Schuld, was passiert ist«, sagte sie und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Zugleich nickte sie, wie um das Gesagte zu bekräftigen.
Anna Sandberg beugte sich über den Tisch. Nahm Lottas Arme und drückte zu, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
»Hör mir jetzt zu, Lotta«, sagte Anna Sandberg. »Hörst du mir zu?«
»Ja.«
»Gut«, sagte Anna Sandberg und hielt ihren Blick fest. »Was du da eben gesagt hast, ist ebenso dumm, als wenn du gesagt hättest, Linda sei an ihrer Ermordung schuld gewesen. Hast du gehört?«
»Ja, ich habe es gehört. Ich habe es gehört«, wiederholte sie, als der Zugriff sich verstärkte.
»Bengt Mänsson hat Linda ermordet. Niemand sonst. Es ist seine Schuld. Ganz und gar. Und nur seine. Du und Linda, ihr seid seine Opfer.«
»Ich habe es gehört«, wiederholte Lotta Ericson.
»Gut«, sagte Anna Sandberg. »Und sieh zu, dass du es auch verstehst. Es ist nämlich die Wahrheit. So ist es passiert, und deshalb ist es passiert.«
Danach waren Anna Sandberg und ihre Kollegin zurück zur Wache nach Växjö gefahren. Keine hatte sich wohlgefühlt in ihrer Haut. Aber im Vergleich zu der, die sie eben verlassen hatten, ging es ihnen glänzend.
»Ich könnte den Arsch umbringen«, sagte Anna Sandberg, als sie den Wagen in die Garage fuhr.
»Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst«, sagte ihre Kollegin.
Knutsson und Thoren hatten die erfolglose Jagd nach dem Tagebuch und anderen Auskünften über die Person des Opfers fortgesetzt. Sie sprachen zuerst mit Lindas Freundinnen und brachten auf diese Weise allerlei Auskünfte und Unterlagen zusammen. Am Ende suchten sie ihren Vater auf seinem Anwesen auf, und das lief so gut wie bei ihren Kollegen, die schon einmal über dieses Thema mit ihm gesprochen hatten.
Henning Wallin wusste von keinem Tagebuch. Natürlich hatte er sich darüber Gedanken gemacht - das hatte sich ja nicht vermeiden lassen, so wie die Polizei ihm deshalb zusetzte -, aber das Einzige, was er anbieten konnte, waren seine eigenen Überlegungen zu diesem Thema.
»Dann erzählen Sie«, sagte Knutsson.
In der Welt, in der Henning Wallin lebte, war ein Tagebuch das Privateste, was
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