Moerderische Idylle
ist.
»Haben Sie gesehen, ob er eine Erektion hatte, als er das Handtuch fallen ließ?«, fragte der Vernehmungsleiter.
Die Geschädigte war sich da nicht sicher. Einerseits hatte sie nicht so genau hingeschaut. Andererseits hatte sie ihn angeschrien, er solle sich anständig benehmen.
»Aber etwas müssen Sie doch gesehen haben«, beharrte der Vernehmungsleiter, der wusste, dass dieses Detail von entscheidender Bedeutung sein würde, wenn es ihr gelänge, sich durch das enge Nadelöhr in den Gerichtssaal zu zwängen.
»Sah aus wie eine ganz normale Knackwurst«, sagte die Geschädigte. »Wie eine vergrätzte Knackwurst.«
Nett für Bäckström, dachte Anna Holt, knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Korb für den Reißwolf.
»Geschieht ihm recht«, kicherte Mattei auf ihre unbarmherzige Weise, als sie und Anna Holt bei einem Glas Wein in der Hotelbar saßen und die Bilanz der vergangenen Woche zogen.
»Ja«, sagte Holt und seufzte. »Ab und zu frage ich mich, was mit mir nicht stimmt. Er hat mir doch wirklich ein bisschen leidgetan. Stell dir das vor, Lisa. Bäckström hat mir leidgetan!«
»Da ließe sich Abhilfe schaffen, Anna«, sagte Mattei mit strengem Blick. »Wenn du willst, hänge ich den Zettel wieder hin. Gib denen auch nur einen Millimeter, und sie verschlucken dich mit Haut und Haaren.«
»Aber Johansson nicht«, sagte Holt aus irgendeinem Grund.
»Niemals mein Lars Martin«, stimmte Mattei zu.
89
Inzwischen träumte Jan Lewin jede Nacht. Fast alle Nächte träumte er von dem Sommer vor fast fünfzig Jahren, in dem er sein erstes richtiges Fahrrad bekommen und sein Vater ihm Rad fahren beigebracht hatte. Aber er träumte nicht von dem Rad, nicht von seinem roten Crescent Valiant, sondern von dem Sommer und dem Tag, an dem sein Vater plötzlich in die Stadt hatte fahren müssen.
Der Vater fuhr nicht wie sonst mit dem Bus. Der Großvater holte ihn mit dem Auto ab. Papa sah müde aus. Bis bald, sagte Papa und fuhr ihm durch die Haare, aber danach war nichts wieder so wie sonst.
Dann fuhr auch der Großvater ihm durch die Haare, und das war seltsam, denn damit war ihm der Großvater zum ersten Mal in seinem Leben durch die Haare gefahren.
»Dann musst du jetzt wohl der Mann im Haus sein und deiner Mama helfen, solange Papa in der Stadt ist«, sagte der Großvater.
»Versprochen«, sagte Jan.
90
Ein Sommer ohne Ende. Eine Landschaft mit so vielen Badeseen, wie es an einem nordischen Nachthimmel Sterne gibt. Am Sonntag packten Anna Holt und Lisa Mattei einen Picknickkorb und fuhren an einen See, um vor der kommenden Arbeitswoche ihre Batterien aufzuladen.
Anna Holt nahm zuerst ihr vernachlässigtes Training wieder auf. Sowie sie sich umgezogen hatte, dehnte sie sich und lief dann um den See. Als sie etwa zehn Kilometer und eine knappe Stunde später zurückkam, streifte sie ihre Turnschuhe ab und kraulte durch den See, einmal hin und zurück. Danach machte sie zweihundert Liegestütze und ebenso viele Situps. Am Ende dehnte sie sich noch einmal und atmete dann in der Fünfundzwanziggradhitze mit rotem Gesicht aus.
Lisa Mattei lag im Schatten und las eines ihrer alten Lieblingsbücher, »Emil und die Detektive« von Erich Kästner. Vor allem die Passage, wo der kleine Emil mit Hilfe von technischen Beweisen den Bösewicht zu Fall bringt - er zeigt das Loch, das die Stecknadel in den sechs gestohlenen Geldscheinen hinterlassen hat -, hatte sich ihrer Seele lebenslang eingebrannt und ließ Emil sogar vor dem Meisterdetektiv Türe Sventon und seiner eher intuitiven Ermittlungstechnik rangieren, letztere vor allem dokumentiert durch seine wiederholten Beobachtungen der spitzen Schuhe des Wilden Wiesels und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen auf die Charaktereigenschaften des Trägers. Lisa Mattei war bereits als kleines Mädchen eher forensisch orientiert gewesen.
Nach dem Training leistete Anna Holt ihr im Schatten Gesellschaft und widmete sich ebenfalls der Lektüre. Mit Hilfe von Telefonlisten, Zeugenaussagen und allerlei kriminaltechnischen Informationen hatte Lewin einen Zeitplan darüber erstellt, womit ihr Täter an dem Tag, an dem er Linda Wallin vergewaltigt und erwürgt hatte, so alles beschäftigt gewesen war. Anna Holt brauchte diesen Zeitplan für das nächste Verhör und hatte vor, sich jede Uhrzeit und jedes kleinste Detail genauestens einzuprägen.
Ab achtzehn Uhr am Donnerstag, dem 3. Juli, hatte Mänsson sich in seiner
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