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Moerderische Idylle

Moerderische Idylle

Titel: Moerderische Idylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif GW Persson
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es in einem Menschenleben überhaupt gab. Und das galt noch viel mehr für einen jungen Menschen und am allermeisten für eine junge Frau. Wie zum Beispiel seine Tochter. Wenn es in ihrem Leben nun ein Tagebuch gegeben hatte, dann war das ganz sicher der Ort, an dem sie den ununterbrochenen Dialog geführt hatte, den jeder denkende und fühlende Mensch über sein Leben, seine Gefühle, sein Gewissen mit sich führte. Dem Tagebuch hatte sie ihr Allerprivatestes anvertraut, und das ebendeshalb, weil es zwischen ihr und ihr selbst bleiben sollte.
    »Können Sie das verstehen«, fragte Wallin und sah erst Knutsson und dann Thoren an.
    »Ich verstehe«, sagte Knutsson.
    »Wir haben schon verstanden«, sagte Thoren.
    »Gut«, sagte Wallin. »Und wenn die Herren mich nun entschuldigen würden.«
     
    »Hat er es wohl weggeworfen oder einfach nur versteckt«, fragte Thoren, als sie zur Wache am Oxtorg zurückfuhren.
    »Jedenfalls hat er es gelesen«, sagte Knutsson.
    »Um festzustellen, ob etwas drinsteht, das zum Täter führt«, sagte Thoren.
    »Und als er nicht fündig wurde, hat er es vermutlich weggeworfen. Oder wohl eher verbrannt«, sagte Knutsson.
    »Bestimmt verbrannt«, meinte Thoren. »Das ist keiner, der irgendwas wegwirft. Allerdings neige ich zu der Annahme, dass er es einfach an einem sicheren Ort versteckt hat.«
    »Warum glaubst du das«, fragte Knutsson.
    »Weil er keiner ist, der irgendwas wegwirft«, sagte Thoren. »Aber natürlich…«
    »…sicher kann man nie sein«, stimmte Knutsson zu.
     
    88
     
    Das fünfte Verhör, das Anna Holt mit Bengt Mänsson abhielt, dauerte fast den ganzen Tag. Lisa Mattei war anwesend, und genau wie bisher machte sie kaum den Mund auf. Sie saß einfach da und lauschte mit freundlichem Lächeln und milden Augen. Holt hatte wie üblich mit einem anderen Thema begonnen, als Mänsson erwartet hatte. Vor allem nach dem Vortag, und der einzige Grund war, dass es mit dem, worum es am Vortag gegangen war, keine Eile hatte. Im Gegenteil wäre es ganz hervorragend, wenn er über das Wochenende in aller Einsamkeit über seine Kontakte zu Linda Wallin nachdenken könnte.
    »Erzähl von dir, Bengt«, fing Holt an, beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf, lächelte und nickte zum Beweis dafür, wie groß ihr Interesse war.
    »Von mir«, sagte Mänsson überrascht. »Was hat das denn mit dem Fall zu tun?«
    »Wie war deine Kindheit«, fragte Holt. »Wie meinst du das?«
    »Fang mit dem Anfang an«, schlug Holt vor. »Mit deiner allerersten Erinnerung.«
     
    Bengt Mänsson zufolge stammte seine früheste Kindheitserinnerung aus seinem siebten Lebensjahr, als er eingeschult worden war. Aus der Zeit davor hatte er einfach keine Erinnerungen. Seine Mutter und ihre Verwandten hatten ihm zwar oft genug erzählt, was er als kleines Kind angeblich alles gesagt und getan hatte, aber in seinem eigenen Kopf war alles leer.
    »Ich weiß nicht, warum, aber so ist es jedenfalls«, erklärte Mänsson und zuckte mit den Schultern.
     
    Von Schulbeginn an waren jedoch Erinnerungen vorhanden. Allerdings war nichts Besonderes dabei. Einfach nur Erinnerungen. Etliche waren gut, fast alle waren uninteressant. Manche waren weniger gut, aber über die wollte er lieber nicht sprechen. Und die Frage verstand er übrigens nicht. Was hatten seine Kindheitserinnerungen mit seiner aktuellen Situation zu tun?
     
    Auch über seine Eltern wollte er nicht reden. Die waren seit vielen Jahren tot, und was vorher zwischen ihm und den Eltern passiert war, wollte er hier nicht erwähnen. Aber eins wollte er klarstellen. Er kannte nur einen Elternteil, nämlich seine Mutter. Er hatte keine Ahnung, wer sein eigentlicher Vater gewesen war, und ziemlich früh im Leben hatte er eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, seine Mutter danach zu fragen. Außerdem hatte er einen Adoptivvater, über den er nicht sprechen wollte und den er mit aller Kraft aus seinem Bewusstsein zu tilgen versuchte.
    »Du besuchst nicht einmal ihre Gräber«, fragte Holt.
    »Das Grab meiner Mutter, meinst du«, korrigierte Mänsson.
    »Das Grab deiner Mutter«, wiederholte Holt.
    »Niemals«, antwortete Mänsson.
    Und wie verhielt es sich mit dem Grab des Adoptivvaters?
    »Du meinst, ich sollte hingehen, um Druck abzulassen«, fragte Mänsson und grinste.
    »Wie meinst du das«, fragte Holt.
    »Um seinen Grabstein anzupissen«, erklärte Mänsson.
    »Erzähl, warum du so etwas tun solltest«, sagte Holt. »Hat er dich schlecht

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