Moerderische Idylle
das noch überaus unklar war.
Richtung Nordost. Schräg über den Stora Torg, vorbei an der Ostseite der Residenz des Landeshauptmanns, dann in die Kronobergsgata geradewegs nach Norden, und bisher stimmte alles mit der Aussage des Türstehers überein.
Aber was dann, dachte Lewin. Er blieb stehen, schaute wieder auf die Uhr. Der schnellste Weg nach Hause, dachte er. Hatte sie nicht zu ihrer Freundin gesagt, als sie das Hotel verlassen hatte, dass sie nach Hause gehen und schlafen wolle, und in Ermanglung einer besseren Möglichkeit schlug er die erste Straße nach rechts ein und hatte nach knapp hundert Metern die Linnegata erreicht. Perfekt, dachte Lewin. Weiter nach Norden durch die Linnegata, und nach abermals knapp vierhundert Metern und ebenso vielen Minuten bog er wieder nach rechts ab und stand im Pär Lagerkvists väg. Dort blieb er stehen, um sich zu orientieren und seine Beobachtungen zusammenzufassen.
An die sechshundert Meter vom Statt entfernt, etwa sechs Minuten zu Fuß für eine junge durchtrainierte und nüchterne Frau, die mit schnellen Schritten durch eine Gegend ging, die ihr von Kindesbeinen an vertraut war. Große, ruhige Innenstadtstraßen, überall Licht, und nur ein Irrer würde auf dieser Strecke einen Überfall wagen. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich in Växjö befanden.
Im Pär Lagerkvists väg selber waren die Voraussetzungen für einen ungestörten nächtlichen Spaziergang womöglich noch besser. Blieben etwa siebenhundert Meter bis zur Haustür, die ganze Zeit auf einer breiten, geraden Straße mit drei- und vierstöckigen Wohnhäusern. Gepflegte Fassaden, blanke Bausparkassenschilder, die von ordnungsliebender Mittelklasse, geordnetem Leben und guten Nachbarn zeugten. Kein Gebüsch, kein Torweg, nicht einmal eine ganz normale Nebenstraße, in der jemand mit bösen Absichten seinem unschuldigen Opfer auflauern könnte.
Sein eigenes Opfer wohnte am Ende der Straße in einem Haus, das ebenso adrett war wie alle anderen, nur ohne Bausparkassenschild, denn dieses gehörte einer kleinen privaten Wohnungsgenossenschaft, und alle Mitglieder wohnten im Haus. Hier ist es also passiert, dachte Jan Lewin und blieb bei dem blauweißen Absperrband stehen, das noch immer das Mordhaus umgab, und als Schauplatz für einen normalen Sexualmord an einer jungen Frau wirkte das total unwahrscheinlich.
Gibt nur eine Erklärung, dachte Jan Lewin, als er eine halbe Stunde später in sein Hotelzimmer zurückkam. Linda hat dort gewohnt. Deshalb ist er hingegangen. Um sie zu treffen. Jemand, den sie kannte, jemand, dem sie vertraute, jemand, den sie mochte. Jemand, der wie sie war. Dann zog er sich aus, ging unter die Dusche und ließ fünf Minuten lang das Wasser strömen. Und zum ersten Mal seit anderthalb Tagen war er ganz ruhig und absolut zufrieden mit der Arbeit, die jetzt vor ihm lag.
12
u m halb sieben am Sonntagmorgen - als Jan Lewin unter der Dusche in seinem Hotelzimmer stand und das Wasser einfach fließen ließ - klingelte das Diensthandy des Bezirkspolizeichefs. Der Bezirkspolizeichef schlief noch, und er hatte gewisse Probleme damit, seine Brille aufzusetzen und das Telefon zu finden, um den Anruf entgegennehmen zu können. Muss was passiert sein, dachte er nach einem raschen Blick auf seinen Wecker, der auf dem Nachttisch stand.
»Nylander hier«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ich gehe davon aus, dass ich dich nicht geweckt habe.«
»Kein Problem«, sagte der Bezirkspolizeichef matt. »Überhaupt kein Problem.« Da muss etwas ganz Schreckliches passiert sein, dachte er.
»Ich rufe an, um mir ein Bild von der Lage zu machen«, sagte Nylander kurz und bündig. »Wie läuft es da unten bei euch?«
»Es läuft ganz planmäßig«, antwortete der Bezirkspolizeichef. Woher will ich das überhaupt wissen, dachte er, ich habe doch die ganze Nacht geschlafen. »Hast du irgendeine besondere Frage, Nylander«, fügte er hinzu.
Es gab jedoch nichts, was Nylander wissen wollte - »so bin ich nicht veranlagt«. Dagegen hatte er sich als Chef der Zentralen Kriminalpolizei gewissen »strategischen Überlegungen« in Bezug auf ihr gemeinsames Thema gewidmet. Als Ergebnis dieser Überlegungen konnte er nun den »operativen Einsatz« anbieten.
»Wie stellst du dir das denn vor?«, fragte der Bezirkspolizeichef. Strategische Überlegungen, operativer Einsatz? Wovon redet der da bloß, fragte er sich.
»So wie ich das sehe, besteht das große Risiko, dass hier ein
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