Moerderische Kuesse
Bürgersteig kicherte Lily vor sich hin.
»Ein Handkuss ist in Frankreich ganz normal. Er hat es nicht so gemeint.«
»Quatsch. Er ist ein Mann, oder vielleicht nicht? Natürlich hat er es so gemeint.«
»Sprichst du aus Erfahrung?«
»O ja.« Er nahm ihre Hand. »Diese verdammten Franzosen küssen doch alles, was ihnen in die Quere kommt. Ich möchte nicht wissen, wo diese Lippen schon überall gewesen sind.«
»Du meinst, ich sollte meine Hand auskochen, um die Bazillen abzutöten?«
»Nein, aber wenn er dich noch mal küsst, koche ich seine Lippen aus.«
Sie lachte leise und schmiegte sich an ihn. Der Anflug von Röte auf ihren Wangen verriet ihm, dass sie seinen Wutausbruch insgeheim genoss. Er legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich, ohne dabei langsamer zu werden.
Eine Woche! Auch wenn sie die ganze Woche beschäftigt sein würden, fühlte sich Swain, als sei sein Todesurteil aufgeschoben worden. Damit würde ihm Lily noch mindestens sieben Nächte erhalten bleiben. In einer Woche hatte sich Frank hoffentlich so weit erholt, dass er wieder telefonieren konnte –
falls er keinen weiteren Rückfall erlitt.
»Ich wollte dich nicht um deinen Anteil prellen«, erklärte Lily unvermittelt und riss ihn damit in die Gegenwart zurück.
»Ich werde dir die Hälfte überweisen.«
»An das Geld habe ich gar nicht mehr gedacht«, bekannte er.
Er arbeitete hier auf Onkel Sams Rechnung, selbst wenn er seinen Auftrag eigenmächtig abgeändert hatte; er wurde bereits bezahlt. »Behalte es. Ich habe genug Geld, und wenn ich dich recht verstanden habe, musst du deine Ersparnisse wieder aufstocken.« Auch damit sagte er die Wahrheit. Ob sie dann noch am Leben wäre, um ihre Ersparnisse zu genießen, stand auf einem anderen Blatt.
Sie musste einfach überleben. Alles andere war ihm unerträglich. Frank würde einfach Vernunft annehmen müssen.
Als sie an jenem Abend wieder im Hotel waren, stellte sie sich hinter ihn, während er am Schreibtisch sitzend die Grundrisse und Aufrisszeichnungen studierte, die in dem Aktenkoffer gewesen waren. Praktischerweise hatte Blanc in den Blaupausen die Funktion jedes Raumes vermerkt, wodurch Swain den Bereich, den sie abdecken mussten, erheblich einschränken konnte. Sie würden nicht den ganzen Komplex dem Erdboden gleichmachen müssen, sondern konnten sich auf einzelne Bereiche konzentrieren. Zum Beispiel
war
es
nicht
notwendig,
Toiletten
und
Konferenzräume
hochzujagen;
das
wäre
nur
Plastikverschwendung. Und nachdem Swain alle Räume auf Quadratmeter umgerechnet hätte, würde er auch überschlagen können, wie viel Sprengstoff sie brauchten.
Lily beugte sich über ihn, legte die Arme auf seine Brust und setzte einen Kuss hinter sein linkes Ohr. »Ich liebe dich auch«, erklärte sie unvermittelt und fast düster. »Glaube ich wenigstens. Nein, ich bin mir ziemlich sicher. Das ist beängstigend, nicht wahr?«
»Erschreckend.« Er ließ den Stift fallen, mit dem er die Quadratmeterzahlen in die Blaupause eingetragen hatte, und drehte sich in seinem Stuhl um, damit er sie auf seinen Schoß ziehen konnte. »Ursprünglich wollte ich nur ein bisschen Spaß mit dir haben; und plötzlich merke ich, dass ich mir Sorgen mache, ob du zum Frühstück genug isst. Du bist wie ein Stealth‐Bomber. Mein Radar hat kein einziges Mal aufgeblinkt.« Er sah sie ernst an.
»Schau mich nicht so an«, protestierte sie. »Mein Fehler war das nicht. Ich war gerade vollauf damit beschäftigt, mein Leben mit einer Knallerbsenschleuder gegen eine Überzahl von Profikillern zu verteidigen, als du dazwischengefahren bist wie der Leibhaftige. Ach übrigens, deine Kehrtwendung im Schleudergang war wirklich sehenswert.«
»Mir fehlt der Jaguar«, gestand er nachdenklich. »Und vielen Dank, Madam. Das war eine Polizeiwende, die braucht man, wenn man schnell umkehren muss und sich nicht mit Nebensächlichkeiten wie Anhalten und Schalten aufhalten will.«
»Ich dachte, der Mercedes würde dir gefallen.«
Am Nachmittag des Vortages hatten sie den Fiat zurückgegeben, und er hatte sich den nächsten Luxuswagen mit Kraftpaket unter der Motorhaube ausgesucht: einen Mercedes der S‐Klasse. Lily hatte der Fiat ehrlich gesagt besser gefallen, aber offenbar war Swains Ego direkt mit der Anzahl der Zylinder seines Autos verknüpft, darum hatte sie sich breitschlagen lassen. Die Episode mit dem Fiat war wirklich komisch gewesen, und nachdem seine Kreditkarte für den Mietwagen
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