Moerderische Kuesse
ähnliche Beziehung zu dem designierten Thronerben aufzubauen. Rodrigo Nervi war für sein krankhaftes Misstrauen berüchtigt und nicht besonders scharf darauf, neue Partnerschaften einzugehen. Frank konnte nur hoffen, dass Rodrigo ebenso pragmatisch denken würde wie sein Vater.
Frank hasste es, mit den Nervis zusammenzuarbeiten. Gut, sie
tummelten
sich
in
verschiedenen
legalen
Geschäftsbereichen, aber ihre Engagements waren allesamt janusköpfig: Was sie taten, hatte grundsätzlich zwei Gesichter, ein gutes und ein schlechtes. Wenn ihre Forscher an der Entwicklung eines Mittels gegen Krebs arbeiteten, konnte man darauf wetten, dass im selben Gebäude ein anderes Team an einer biologischen Waffe forschte. Sie spendeten ungeheure Summen an Wohltätigkeitsorganisationen, die viel Gutes bewirkten,
aber
sie
unterstützten
gleichzeitig
Terroristenbanden, die rücksichts‐ und gewissenlos mordeten.
Wer in der Weltpolitik mitspielen wollte, musste bereit sein, im Abwasserkanal zu plantschen. Man musste in Kauf nehmen, dass man sich dabei schmutzig machte. Privat war Frank ganz und gar nicht unglücklich über Salvatore Nervis frühzeitiges Ableben. Doch als Chef der Abteilung für Auslandseinsätze musste er etwas unternehmen, falls Liliane Mansfield tatsächlich hinter Nervis Tod steckte.
Er holte das Geheimdossier über sie heraus und las es durch.
Ihrem psychologischen Gutachten zufolge stand sie schon seit mehreren Jahren unter wachsendem Stress. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass es zwei Sorten von Agenten gab: Die einen verrichteten ihre Arbeit mit genauso wenig Gefühl, als würden sie Ungeziefer ausrotten, die anderen waren überzeugt, dass sie etwas Gutes bewirkten, und deren Seelen litten unter der ständigen Beanspruchung. Lily gehörte zur zweiten Gruppe. Sie war sehr gut, eine Spitzenkraft, aber jeder einzelne Einsatz hatte bei ihr Spuren hinterlassen.
Dass sie seit Jahren keinen Kontakt mehr mit ihrer Familie hatte, war jedenfalls kein gutes Zeichen. Bestimmt fühlte sie sich allein gelassen, abgeschnitten von jener Welt, die sie eigentlich beschützen wollte. Unter diesen Umständen waren ihre Freunde in der Branche für sie mehr geworden als nur Freunde, sie waren eine Art Ersatzfamilie. Als sie brutal hingerichtet wurden, hatte Lilys lädierte Seele möglicherweise den entscheidenden Schlag bekommen.
Frank wusste, dass einige seiner Kollegen ihn auslachen würden, wenn sie wüssten, dass er in Begriffen wie »Seele«
dachte, aber er war schon lange in diesem Geschäft, darum kapierte er nicht nur, was er sah, er verstand es.
Arme Lily Eigentlich hätte er sie sofort aus dem Bereich abziehen sollen, als sie die ersten Anzeichen einer psychischen Überlastung zeigte, aber dafür war es nun zu spät.
Er musste auf die Situation reagieren, wie sie sich jetzt darstellte.
Seufzend griff er zum Telefon und befahl seiner Assistentin, Lucas Swain aufzuspüren, der sich, Wunder über Wunder, wahrhaftig in der Zentrale aufhielt. Fortuna, diese wankelmütige Göttin, hatte anscheinend entschieden, ihm ausnahmsweise hold zu sein.
Keine Dreiviertelstunde später meldete seine Assistentin über die Gegensprechanlage. »Mr. Swain ist hier.«
»Schicken Sie ihn rein.«
Die Tür ging auf, und Swain kam hereingeschlendert.
Eigentlich hatte ihn Frank noch nie anders gehen sehen. Er ging wie ein Cowboy, der nirgendwohin musste und es nicht eilig hatte, irgendwo anzukommen. Die Damen schienen das an ihm zu mögen.
Swain gehörte zu jenen attraktiven Menschen, die ständig gute Laune zu haben schienen. Ein argloses Lächeln leuchtete auf seinem Gesicht, als er Frank begrüßte und auf dem Stuhl Platz nahm, auf den sein Chef deutete. Aus irgendeinem Grund hatte sein Lächeln die gleiche Wirkung wie sein Gang: Die Menschen mochten ihn. Er war ein unerhört effektiver Führungsoffizier, weil ihm niemand diesen Beruf zugetraut hätte. Er mochte ein glücklicher Mensch sein und seine Bewegungen mochten wie die Definition von Lässigkeit wirken, aber er hatte bis jetzt noch jeden Auftrag erfolgreich abgeschlossen. Seit fast zehn Jahren war er nun schon in Südamerika tätig, und das erklärte auch sein braunes Gesicht und die muskulöse, sehnige Statur.
Natürlich begann man ihm das Alter anzusehen, dachte Frank, aber wer blieb davon verschont? Das erste Grau zeigte sich an den Schläfen und am Ansatz der braunen Haare, die er immer ganz kurz schnitt, weil er sonst die eigensinnige Stirnlocke nicht
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