Moerderische Kuesse
mitzumachen?
Geld? Sie waren gut über die Runden gekommen, auch wenn sie nicht reich gewesen waren, so hatten sie doch nicht jeden Cent umdrehen müssen. Eine geradezu astronomische Summe hätte sie vielleicht verleiten können, aber im Lauf der Jahre hatten Averill und Tina allen finanziellen Fragen gegenüber die gleiche Gelassenheit entwickelt wie Lily. Von dem Zeitpunkt an, als Lily ihren Job angetreten hatte, hatte sie immer genug Geld gehabt. Sie kannte keine Geldsorgen, genauso wenig wie Averill und Tina. Sie wusste hundertprozentig,
dass
ihre
beiden
Freunde
genug
zurückgelegt hatten, um bis an ihr Lebensende in relativem Wohlstand leben zu können, und außerdem hatte Averill mit seinem Computershop ziemlich gut verdient.
Hätte doch nur einer von beiden zum Telefon gegriffen und angerufen, um Lily zu erzählen, was sie vorhatten. Sie mussten ein zwingendes Motiv gehabt haben, und Lily wollte zu gern wissen, was das gewesen war, denn dann hätte sie auch gewusst, wie sie zurückschlagen konnte. Mit dem Mord an Salvatore hatte sie ihre Rache noch längst nicht vollstreckt; das war nur der erste Akt gewesen. Sie würde sich erst zufrieden geben, wenn sie herausgefunden hatte, was so schlimm gewesen war, dass es ihre Freunde zum Eingreifen gezwungen hatte – in der Hoffnung, dass es die ganze Welt gegen den Nervi‐Clan Partei ergreifen lassen würde, bis sogar all die Menschen an den Schaltstellen der Macht, die Salvatore Nervi bestochen oder erpresst hatte, sich eiligst von ihnen distanzieren würden. Sie wollte das ganze verrottete Tragwerk zum Einsturz bringen.
Ihr kam der flüchtige Gedanke, dass sie möglicherweise ebenfalls eingegriffen hätte, wenn Tina ihr von dem Job erzählt hätte. Schließlich musste es ein höchst wichtiger Auftrag gewesen sein, sonst hätten ihn die beiden nicht übernommen.
Vielleicht hätten ihre Freunde mit ihrer Hilfe den Einsatz erfolgreich durchführen können – oder Lily läge jetzt tot neben ihnen.
Aber die beiden hatten mit keiner Silbe über ihr Vorhaben gesprochen, obwohl sie nur eine Woche vor dem Mord mit Lily zu Abend gegessen hatten. Gut, Lily hatte einen Einsatz gehabt und ein paar Tage verreisen müssen, doch sie hatte ihnen erklärt, wann sie zurück sein würde. Hatten Averill und Tina da schon von ihrem Job gewusst, oder war der Job völlig unerwartet angeboten worden und hatte sofort erledigt werden müssen? Normalerweise operierten Tina und Averill nicht so. Lily auch nicht. Alles, was mit dem Nervi‐Clan zu tun hatte, erforderte minutiöse Vorarbeit und Planung, denn die Bande verfügte über einen fast lückenlosen Schutz.
All das hatte sie seit dem Tod der beiden in vielen schlaflosen Nächten unzählige Male durchgekaut. Manchmal, wenn Zias fröhliches kleines Gesicht vor ihr auftauchte, begann sie so heftig zu weinen, dass es ihr selbst Angst machte.
Denn in ihrer bodenlosen Trauer hätte sie am liebsten augenblicklich zurück‐ und der Schlange das Haupt abgeschlagen. Letzteres hatte sie inzwischen erledigt, nachdem sie sich drei Monate lang auf nichts anderes konzentriert hatte, und nun würde sie den Rest erledigen.
Erst musste sie herausfinden, wer Averill und Tina angeheuert hatte. Wenn es ein Privatmann gewesen war, musste er über viel Geld verfügen … oder auch nicht. Vielleicht hatte etwas ganz anderes dahinter gesteckt. Vielleicht hatten die zwei einen Hinweis auf ein besonders grässliches Verbrechen bekommen, das Salvatore geplant hatte. Bei Salvatore konnte sie nichts ausschließen; so wie sie ihn einschätzte, konnte nichts so ekelhaft oder schmutzig sein, dass er davor zurückschrecken würde. Wenigstens nicht, solange er dabei Geld verdiente.
Averill und Tina hingegen waren im Grunde ihres Herzens Idealisten gewesen. Lily konnte sich gut vorstellen, dass es Dinge gab, die ihnen das Gefühl vermittelten, einschreiten zu müssen, obwohl sie in ihren früheren Jobs so viele Gräuel gesehen hatten, dass sie nur noch schwer zu schockieren waren.
Was mochten sie nur erfahren haben?
Zia. Irgendwas, das Zia bedrohte. Um sie zu schützen, hätten sie mit bloßen Händen einen Tiger niedergerungen. Dass ihr Adoptivkind betroffen war, würde erklären, weshalb sie in ihren Job zurückgekehrt waren.
Lily setzte sich blinzelnd auf. Natürlich. Warum hatte sie das nicht schon früher erkannt? Wenn nicht das Geld den Ausschlag gegeben hatte, was konnte ihnen dann noch wichtig genug gewesen sein? Ihre Ehe, ihre Liebe,
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